Neuland
sowas kommt vor.
Sie schiebt so einen Hass auf mich, fuhr Brunos Sohn fort; mit einer Gelassenheit, als wären die Wörter Wäscheklammern, die er auf die Leine steckte. Danach machte er sich einen Kaffee und legte ein Stück Bitterschokolade auf die Untertasse.
Inbar und ihre Mutter saßen nebeneinander an dem kleinen Esstisch, schauten ihn beide gespannt an und warteten auf weitere Details, wie sie es immer getan hatten, wenn ihr Vater von seinen Kongressen zurückkam und schon in der Haustür gesagt hatte »Menschen sind einfach das Spannendste, was es auf der Welt gibt«, und sie wussten, dass gleich die übliche Warnung käme, »alles, was ich euch jetzt erzähle, ist absolut diskret zu behandeln«, danach die spitze Reaktion ihrer Mutter »Staatsgeheimnisse oder was?«, und dann eine gute Geschichte.
Das Problem ist nur, dass der Vater meiner Frau Trinker war, sagte Hans. Er begann die Geschichte mittendrin, sprach vor allem zu Hanna, streifte aber auch Inbar ab und zu mit einem flüchtigen, prüfenden Blick. Seine Handbewegungen waren unkontrolliert und aufgebracht, wie die von Shalom Hanoch auf der Bühne.
Ihr Vater war ein schwerer Alkoholiker. Er kam nach Hause, hat ihre Mutter genervt, hat sie zu fest in die Hüfte gekniffen und dreckige Lieder gesungen. Und jetzt denkt sie, ich sei wie er. Aber das stimmt nicht. Ich bin überhaupt nicht wie er. Im Gegenteil, wenn ich was getrunken habe, liebe ich meine Familie nur noch mehr. Es ist, als sei ich auf einer langen Reise gewesen und nach Hause zurückgekehrt. Wie lang kann einer denn er selbst sein? Man muss auch mal aus sich raus. So geh ich einmal die Woche was trinken, statt zu Nutten zu gehn oder von zu Hause weg und allein mit dem Wohnwagen nach Australien zu fahren. Ist das nicht besser so, was meint ihr denn, als Frauen?
Inbar kratzte mit dem Finger Zucker mit Kaffeegeschmack von der Untertasse und schob ihn in den Mund. Ihre Mutter rührte dieLuft in ihrer Tasse mit dem Teelöffel um. Beiden war klar, dass er nicht wirklich eine Antwort erwartete.
Ich habe von Anfang an gewusst, fuhr er fort, dass diese ganze Sache mit der Familie nichts für mich ist. Aber ich liebe sie so sehr, dass ich mitgemacht habe. Sie wollte heiraten, und ich wollte sie. Deshalb hab ich mitgemacht. Danach wollte sie Kinder. Ich wollte sie und hab mitgemacht. Und so hab ich jetzt eine ganze Kindergruppe, leite den Kindergarten von Hans. Hier in der Stadt leben die Leute mit zwei oder drei Partnern, pfeifen auf dieses ganze Getue mit Familie und Kindern und tun, wonach ihnen ist, aber das juckt mich nicht, wisst ihr was, nichts stört mich, wenn ich nur mit ihr zusammen sein kann.
Und trinken, fügte ihre Mutter in anerkennendem, aber gleichzeitig auch bissigem Ton hinzu.
Ab und zu, nur ab und zu mal. Hans flehte sie an, als flehe er seine Frau an.
Dann kam sein Vater in die Küche – und Hans durchlief eine erstaunliche Metamorphose. Er setzte sich aufrecht hin, zog die Schultern zurück. Sein trüber Blick war plötzlich klar und konzentriert. Für einen Moment schien es so, als hätte er sich sogar seine Bartstoppeln wegrasiert.
Bruno sagte ihm einen kurzen Satz auf Deutsch, und Hans antwortete ihm (für Inbar klang es wie eine Forderung und Gehorchen). Danach redeten sie übers Geschäft (das Reden über Geld hat einen internationalen Ton – Inbar kannte ihn von Ejtans Gesprächen). Hans sprach energisch und sachlich, und seine Handbewegungen wirkten wohlüberlegt und gemessen. Seine rechte Hand breitete eine Summe zur Bezahlung auf dem Tisch aus. Die linke Hand schlug drei Stufen vor, die er an den Fingern abzählte. (Erste Stufe – Konzentration der Juden in Gettos. Zweite Stufe – Deportation in die Lager. Letzte Stufe – Vernichtung. Das ist nicht, was er sagte, doch Inbar konnte ihre Assoziationen nicht stoppen.)
Sie reden über einen ihrer Geschäftspartner, übersetzte ihre Mutter, einen »Ossi«, aus dem ehemaligen Ostdeutschland. Siesagen, dass sie ihm nicht vertrauen und dass er keine Arbeitsmoral habe. Überhaupt hält man die »Ossis« hier immer noch für Schmarotzer, in wirtschaftlicher Hinsicht.
Ich entschuldige mich noch einmal in aller Form, sagte Hans zu ihr, nachdem er mit seinem Vater die nächsten Akzias geplant hatte, und ich verspreche dir, diese Nacht kannst du sorglos in deinem Bett schlafen.
Vielleicht tausch ich zur Sicherheit das Schloss aus, sagte sie, und dann folgte ein zu langes Schweigen, nach dem Hans wild auflachte und
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