Neuland
mich dauernd daran erinnerst).
Über Bücher hatten sie immer reden können. So hatten sie nach ihren bitteren, Seelen verletzenden Pubertäts-Streitereien wieder einen Weg zueinander gesucht. »Wie findest du denn das neue von …« – »Ich auch, obwohl das Ende doch etwas merkwürdig ist,nein?« Manchmal hatte ihre Mutter nach einem Streit ein Buch für sie gekauft und es auf den Sessel neben dem Abstieg ins »U-Boot« gelegt. Doch in den letzten zwei Jahren war es Inbar, die ihrer Mutter Bücher kaufte und sie ihr aus Israel nach Berlin schickte. Danach sprachen sie am Telefon darüber. Normalerweise war der Geschmack ihrer Mutter dem der Literaturkritiker des Haaretz verdächtig ähnlich.
Also … du schreibst? Ihre Mutter nahm noch einmal ihren ganzen Mut zusammen.
Inbar schlug das Heft zu und legte die Hand darauf, so wie man bei Gericht die Hand auf die Bibel legt und schwört, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen.
Nein, log sie, das heißt, nur meine Träume schreib ich auf, damit sie nicht verloren gehen.
Und … war es ein interessanter Traum?
Nu schojn , wieder habe ich Fima im Traum gesehen , ahmte sie die Großmutter nach, und beide lachten.
Großmutter Lili erinnerte sich gut an ihre Träume und erzählte sie gerne ausführlich jedem, der bereit war, zuzuhören. Es war eine richtige Zeremonie. Man trank hellen Kaffee mit viel Milch, aß Zuckergebäck und lauschte Großmutter Lilis Traum. Auch Großvater Natan hatte, als er noch lebte, mit dabeigesessen, geduldig zugehört und sich mit dem häufigen Erscheinen eines fremden Mannes mit Namen Fima in den Träumen seiner Frau ohne besondere Aufregung oder Sorge arrangiert. Und dann sehe ich plötzlich Fima, hatte Großmutter Lili ganz überrascht erzählt, als hätte sie ihn nicht schon Dutzende Male in anderen Träumen gesehen. Mal hat sie ihn im Kuhstall gesehen, wie er auf einer Kuh ritt, die keine Milch gab. Mal lag er auf dem Boden des Supermarkts. Mal fuhr er in einem Auto ohne Räder. Und manchmal begnügte er sich mit kurzen Gastauftritten in Träumen, in denen es um ganz andere Dinge ging. (Und dann stehe ich vor dem Finanzminister Pinchas Sapir und sage ihm, es könne doch nicht sein, dass die Tomaten jetzt schon zwölf Schekel das Kilo kosten, und hinter ihm stehtFima mit seinem hervorstehenden Adamsapfel und schreibt alles, was ich sage, in einen schwarzen Block, und dann antwortet Sapir mir, gute Frau, die Tomaten sind zwar teurer geworden, aber dafür sind die Zucchini deutlich billiger.)
Worum ging es also wirklich in deinem Traum?, fragte ihre Mutter, als spüre sie, dass da ein Punkt war, den zu vertiefen sich lohne. Komm, wir machen dir einen Kaffee. Wenn du ihn in dein Heft geschrieben hast, dann ist er dir wohl wichtig?
Nicht unbedingt, sagte Inbar und folgte ihr in die Küche. Neben dem Spülbecken stand ein Abtropfständer für Geschirr von Ikea. Genau wie in meiner Küche, dachte sie sich und spürte, dass sie nahe dran war, weich zu werden. Noch eine Frage von ihrer Mutter, und sie würde auspacken (Ejtan hatte sie es schon an dem Tag erzählt, als es passierte, und er war richtig schockiert, hatte ihr aber auch sofort gesagt, sie müsse dafür nicht die Verantwortung übernehmen, es sei nicht ihre Schuld, kein Gericht würde sie dafür schuldig sprechen, und sie dachte, man kann uns erstgeborenen Geschwistern aber nicht sagen, wir müssten für etwas nicht die Verantwortung übernehmen, denn das liegt nun mal in unserer Natur, und sagte ihm, er habe natürlich vollkommen Recht, und sie war dankbar für den Besen, den er ihr gereicht hatte, um die ganze Geschichte in eine Ecke ihrer Seele zu kehren, doch auch am nächsten Tag und auch noch nach einer Woche ließ es sie nicht los. Und als sie versuchte, noch einmal mit ihm darüber zu sprechen, waren ihr die Worte in der Kehle stecken geblieben, denn es war ja nicht nur diese Sache; auch die Erinnerungen an Joavi kamen alle wieder in ihr hoch).
Guten Morgen, sagte Brunos Sohn, als er in die Küche kam. Geduscht, duftend und völlig erschossen. Tut mir leid wegen gestern, sagte er in akzentfreiem Englisch zu Inbar. Meine Frau hat das Türschloss ausgetauscht, und als ich nach Hause wollte, kam ich nicht mehr rein. Deshalb bin ich hierhergekommen, ich hab ja einen Schlüssel … und ich hab vergessen, mein Vater hatte mir ja gesagt … er hat es mir ja sogar gesagt … tut mir wirklich leid.
Schon in Ordnung, sagte Inbar, versuchte, ihm entgegenzuschmelzen,
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