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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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anderen Seite runterspringen. In die Freiheit, dachte sich Inbar, und sie dachte auch, dass die Hitze bei ihr wohl erste Wirkung zeige und dass sie Durst hatte.
    Hast du ihr erzählt, dass du hierherkommst? Ihre Mutter holte eine Wasserflasche heraus und reichte sie ihr.
    Nein. Ich hab Ejtan instruiert zu sagen, ich sei nicht zu Hause, es sind ja nur drei Tage.
    Warum hast du denn plötzlich so dringend fahren müssen? Was ist passiert? Ihre Mutter nahm die Flasche wieder an sich. Du musst es mir nicht erzählen … nur wenn du willst.
    Mit überraschender Leichtigkeit, als hätte sie sich nicht lange Wochen damit gequält, begann Inbar ihre Beichte. Nach ein paar Sätzen hielt sie inne und sagte: Ich habe das komische Gefühl, dass diese Däumlinge mich anschauen und mir die Schuld geben. Komm, wir gehn und setzen uns woandershin.

Lili
    Die Bewilligung der Rumänen kam und kam nicht. Es hielten sich hartnäckige Gerüchte, dass es eine Frage des Geldes sei und man versuche, eine Summe aufzutreiben, um die Beamten zu bestechen. Noch hartnäckigere Gerüchte besagten, es hänge mit der Kriegsdrohung aus Deutschland zusammen, und da helfe auch keine Bestechung. Und der Zug stand mindestens drei Tage. Das Wasser ging zu Ende. Die rumänischen Kinder, die ihnen durch die Fenster Getränke verkauft hatten, waren auf und davon. Viele Frauen wurden ohnmächtig. Lili wurde nicht bewusstlos, doch ihre Kehle war trocken. Wie konnte man diesen Durst jemandem erklären, der jeden Moment den Wasserhahn in der Küche aufdrehen kann? Jemandem, der eine Wohnung hat, ein Filtersystem fürs Leitungswasser und dazu noch einen Kasten mit Mineralwasser? Eine Wüste ist das gewesen, im ganzen Hals. Die Lippen platzten auf wie das Schilfmeer, aber keiner zog mitten durch es hindurch. Die Schläfen pochten, als wollten sie, dass man sie direkt gießt, durch die Haut, nicht durch den Mund. Der Kopf dämmerte. Halluzinierte. Angefüllt mit buntem Sand, wie ein Glas vom Ramon-Krater. Er brachte alles durcheinander, Gesichter, Namen. Er blinkte von violetten Sternen, rief tote Mütter aus der Unterwelt herauf. Und in all dem tauchte plötzlich er auf: Jizchak Fimstein. Fima. Er kam in ihren Wagen. Die Mundharmonika baumelte noch immer an seinem Hals. Der Adamsapfel ragte noch immer hervor, als habe Fima einen Teelöffel verschluckt. Jetzt nicht an Teelöffel denken, denn im Teelöffel sammelte sich das Wasser. Ob sie mit ihm mitkommen möchte? Seine Glatze beugte sich zu ihr. Sein Lächeln beugte sich zu ihr. Seine Lippen. Er habe etwas, was er ihr geben wolle. Wohin mitkommen?, fragte sie schwach. Wohin kann man hier schon gehn? Er nahm ihren Arm und führte sie in den Übergang zwischen den Waggons. Toilettengestank. Schwindel. Nur nicht an ihn anlehnen. Bloß nicht anlehnen. Eine zufällige Berührung würde den Wunsch nach einer absichtlichenBerührung wecken. Da zog er plötzlich einen kleinen Flachmann aus der Hosentasche. Wieso sich jetzt betrinken? Sie lachte beinah. Du bist verrückt, sagte sie zu ihm, und er schüttelte den Kopf. Das ist kein Schnaps, das ist Wasser. In der Flasche war Wasser, das er für sie ergattert hatte. Aber wer hat dich darum gebeten, kochte es plötzlich in ihr. Plötzlich kamen ihre Kräfte zurück (erst später würde sie zusammenbrechen). Darum hat dich keiner gebeten. Ich wollte es, sagte er und hielt die Flaschenöffnung an ihre Lippen. Sein Adamsapfel stieg auf und sank, stieg auf und sank, als sei er es, der trank. Der Geruch des Wassers erreichte ihre Nase, noch bevor die Flasche ihren Mund berührte. Noch nie war ihr aufgefallen, dass Wasser einen Geruch hatte.
    Nein, sagte sie und schob die Flasche von sich und dachte, das ist nicht in Ordnung, das geht nicht. Ich habe einen Freund, einen Geliebten. Der wird meine Lippen mit seinen Küssen benetzen, wenn ich zu ihm kommen werde.
    Warte einen Moment, Lili, rief er und packte sie am Arm. Woher kannte er ihren Namen? Sand floss in ihren Kopf, füllte ihn aus. Sie wollte ihm ihren Arm entreißen, hatte aber keine Kraft dazu.
    Da war ein Pfeifen zu hören, das Pfeifen der Lokomotive. Langgezogen verkündete es eindeutig die Weiterfahrt. Aber wohin? Für ein paar Sekunden war beiden nicht klar, in welche Richtung der Zug fuhr. Zurück nach Polen oder vorwärts, zum Hafen von Konstanza. Für ein paar Sekunden war Lili sich nicht sicher, was ihr lieber wäre. Für ein paar Sekunden versuchten seine Augen (blau, verdammt), ihren Blick zu erhaschen und auf

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