Neumond: Kriminalroman (German Edition)
»Mit Skelettfunden aus dem Krieg habe ich leider keine Erfahrung, aber eine liebe Freundin von mir ist Gerichtsmedizinerin in Wien – vielleicht kann sie uns weiterhelfen.« Morell holte sein Handy aus der Jackentasche und wählte Ninas Nummer.
»Hallo Otto«, meldete sie sich. »Ich sitze noch im Auto, bin aber gleich da. Was gibt’s denn?«
»Hast du zufällig eine Ahnung, was man mit Knochen aus dem Zweiten Weltkrieg anstellt?«
»Mit Knochen? Aus dem Zweiten Weltkrieg? Was um alles in der Welt tust du gerade? Ich dachte, ihr seid Skifahren.«
»Nicht ganz. Leander und Valerie fahren Ski, aber ich sitze gerade mit einem netten Kollegen und einer Kiste voller Knochen in der St. Gröbner Polizeiinspektion und rätsle, was damit zu tun ist.«
»Also, ich frage jetzt mal lieber nicht weiter nach, warum du nicht auf der Piste bist – die sterblichen Überreste eures Soldaten gehören jedenfalls in die Gerichtsmedizin.«
»Aha. Was will man dort denn noch feststellen? Na, egal, du bist die Expertin. Kannst du mir die Nummer deiner Kollegen in Innsbruck geben?«
»Die habe ich leider nicht im Kopf, aber weißt du was? Ich bin in einer halben Stunde in St. Gröben, dann kümmere ich mich selbst darum. Ich gehe mal davon aus, dass die Polizeiinspektion nicht schwer zu finden sein wird.«
Morell bedankte und verabschiedete sich und wandte sich dann an Danzer. »Sie kommt in ungefähr einer halben Stunde her und wird sich darum kümmern.«
»Wunderbar«, strahlte Danzer. »Dann habe ich ja jetzt eine Sorge weniger.« Er tätschelte die Kiste und griff zum Telefon. »Oliver? Wir hätten gerne noch etwas zu trinken.«
Knapp dreißig Minuten später stand Nina Capelli in der St. Gröbner Polizeiinspektion. »Wo sind denn nun die Knochen?«, fragte sie, nachdem sie die beiden Polizisten begrüßt und ihren dicken Anorak ausgezogen hatte. Sie strubbelte sich ein paar Schneeflocken aus ihrem brünetten Pagenkopf und nahm ihre Hornbrille ab, die sich durch die Wärme in der Inspektion beschlagen hatte. »Da habt ihr aber gut eingeheizt«, stellte sie fest und wischte die Brillengläser mit dem Ärmel ihres Pullovers ab.
»Unser Freund ist gleich hier. Können Sie die Untersuchung jetzt sofort durchführen?« Danzer griff nach der Schachtel und stellte sie wieder auf den Tisch.
»Nein, das leider nicht – die Knochen gehören nach Innsbruck in die Gerichtsmedizin, wo sich dann einer meiner Kollegen darum kümmern wird. Ich bin einfach nur neugierig. Darf ich?« Nina deutete auf den Karton.
»Bitte, tun Sie sich keinen Zwang an.« Danzer hob den Deckel hoch. »Werden sich Ihre Kollegen dann später auch um die Beerdigung oder Lagerung oder was auch immer mit den Knochen zu tun ist kümmern? Oder kommt das Skelett nach der Untersuchung wieder zu mir zurück?«
»Das kommt auf den Befund an.« Nina hob den Schädel behutsam aus der Kiste und begutachtete ihn vorsichtig von allen Seiten. »Komisch«, murmelte sie, legte ihn auf den Schreibtisch und begann, die anderen Knochen nach und nach aus der Kiste zu nehmen und daneben zu legen.
Morell schielte angewidert auf die dreckigbraunen Knochen, die einer nach dem anderen direkt neben seinem Kuchenteller landeten. »Muss das sein?«
Nina nickte abwesend. »Irgendetwas stimmt hier nicht«, murmelte sie. »Wie seid ihr nochmal auf die Idee gekommen, dass es sich bei diesem Skelett um die Überreste eines Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg handelt?«
»Es wurde in einem alten Bunker im Wald entdeckt.« Danzer rettete die beiden Kuchenteller vor Ninas Arbeitseifer und parkte sie, weit weg von Dreck und Knochenstaub, auf dem Fensterbrett.
Nina hatte anscheinend gefunden, wonach sie gesucht hatte, denn sie hörte auf, Knochen auszupacken. Stattdessen hielt sie nun ein herzförmiges Knochenstück gegen das Licht und studierte es mit zusammengekniffenen Augen.
»Was stimmt nicht damit?« Danzer war ganz hibbelig geworden. Er stand auf und starrte auf das Ding in Ninas Hand.
»Tja.« Nina stemmte die Hände in die Hüften und sah die beiden Polizisten tadelnd an. »Es wird euch nicht gefallen, aber euer Freund ist in Wirklichkeit eine Freund
in
.«
»Eine Frau?« Danzer ließ sich wieder zurück in seinen Sessel fallen und starrte die Gerichtsmedizinerin mit großen Augen an. »Sind Sie sicher?«
Nina nahm zwei schaufelförmige Knochen und hielt sie an das herzförmige Stück. »Ich bin natürlich keine forensische Anthropologin, aber dieses Becken ist definitiv
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