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Neumond: Kriminalroman (German Edition)

Neumond: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Neumond: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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versteckt – die holte er nun behutsam hervor. Er überprüfte erst, ob das Haar, das er daraufgelegt hatte, noch da war. Ja, das war es – hätte jemand die Schachtel heimlich geöffnet, dann wäre es nämlich runtergefallen. So konnte er immer sicher sein, dass seine Schätze nicht verflucht oder unwirksam gemacht worden waren. Er nahm sachte den Deckel ab, legte ihn zur Seite und holte vorsichtig ein paar Rabenfedern, das Gewöll eines Uhus, Mistelzweige, Tannenzapfen und andere magische Dinge heraus, bis er am Boden der Schachtel fand, wonach er gesucht hatte: ein kleines Säckchen, in dem sich eine Handvoll getrockneter Vogelbeeren befand. Die hatte er im letzten Sommer selbst gesammelt und getrocknet, sie schützten vor bösem Zauber und magischen Angriffen. Er steckte den Beutel in seine rechte Hosentasche und griff nach dem einzigen Gegenstand in der Schachtel, der keine Zauberkräfte besaß – einem ziemlich scharfen Käsemesser, das er vor ein paar Monaten beim Buffet hatte mitgehen lassen. Zwar hatte er manchmal ein schlechtes Gewissen, weil er gestohlen hatte, aber er brauchte das Messer dringend, und Mutter hätte ihm nie erlaubt, eines zu besitzen – sie dachte ja, er sei ein kleines Kind. Ein verrücktes kleines Kind. Er befühlte den kühlen Stahl des Messers, steckte es in seine andere Hosentasche und freute sich auf den Moment, an dem seine Mutter ihn für voll nehmen würde.
    Nachdem er die Tür geöffnet hatte, spähte er zunächst nach links und rechts, und als er sicher war, dass die Luft rein war, schlich er nach draußen zum Waldrand. Es war klirrend kalt, aber er war so aufgeregt, dass er nichts anderes als das harte, gleichmäßige Pochen seines Herzens wahrnahm. Dort drüben, gleich neben den Sträuchern, musste die Stelle sein. Dort hatte der Tatzelwurm eine seiner Schuppen verloren. Er stapfte in seinen Hauspantoffeln durch den knöchelhohen Schnee und ignorierte die eisige Nässe, die sich langsam in seine Füße fraß. Am Morgen hatte es schon wieder geschneit, darum war die Stelle mit frischem, strahlend-weißem Schnee bedeckt. Patrick ließ sich auf die Knie fallen und begann mit bloßen Händen zu graben. Bereits nach wenigen Minuten fühlten sich seine Finger steif an und färbten sich langsam rot, aber er ignorierte tapfer den stechenden Schmerz und grub unbeirrt weiter. Sie musste hier irgendwo sein. Er hatte es doch gesehen, da war er ganz sicher. Und tatsächlich – er hatte sich nicht getäuscht. Direkt vor ihm im Schnee lag geheimnisvoll glitzernd die Schuppe der Bestie.
    Mit weit aufgerissenen Augen betrachtete er sie, hob sie so behutsam auf, als könnte eine zu schnelle Bewegung oder ein zu tiefer Atemzug sie zum Verschwinden bringen, und trug sie leise vor sich hin lächelnd zurück ins Haus.

15
    Nina war verwirrt. Bildete sie sich das nur ein, oder verhielt Leander sich wirklich komisch? Von wegen, sie solle sich entspannen –
er
war derjenige, der völlig unentspannt war. Und warum so ein Stress wegen einer einfachen Zahnbürste? Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass er einfach ihre benutzte. Sie dachte nach. Am besten ließ sie ihn einfach machen, er würde sich schon wieder normalisieren. Wahrscheinlich steckte hinter seinem Verhalten ein ganz harmloser Grund, und er übertrieb einfach wieder mal. Sie überlegte kurz, was sie jetzt tun sollte und fand, dass Leander recht hatte: Ein kleiner Spaziergang war jetzt genau das Richtige. Vielleicht konnte sie dabei ja sogar einen kleinen Abstecher zum Bunker machen – der Plan, den sie von Oliver bekommen hatte, steckte immer noch in ihrer Jackentasche, und Morell war sicher dankbar für jede Unterstützung. Wer weiß, vielleicht konnte sie ja sogar die fehlenden Knochen aufstöbern und das Skelett komplettieren. Sie packte also sicherheitshalber eine kleine Plastiktüte und eine Taschenlampe ein und machte sich auf den Weg.
    Während sie den kleinen Pfad einschlug, der in den Wald führte, atmete sie tief ein und ließ die friedliche Umgebung auf sich wirken: Der Schnee glitzerte in der Nachmittagssonne wie tausend Diamanten, die Büsche und Bäume trugen flauschige weiße Mäntel, und der Himmel strahlte in einem wunderschönen Azurblau. Alles war so zauberhaft wie in einem Wintermärchen – kein Wunder, dass der autistische Junge von Fabelwesen fantasierte.
    Sie schlenderte tiefer in den Wald hinein und genoss die Ruhe, die nur durch das Knirschen ihrer Stiefel im Schnee gestört wurde. Der

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