Neumond: Kriminalroman (German Edition)
»Wir waren bei der Beziehung zwischen Ihnen und Frau Weigl stehen geblieben.«
Rainer faltete einen dreckigen Zettel auseinander, strich ihn glatt, legte ihn auf einen Haufen und ignorierte sein Gegenüber.
Dieser zeigte nach draußen, wo dicke weiße Flocken langsam auf die dreckigen Mülltonnen rieselten. »Schauen Sie nur, es hat zu schneien begonnen.« Er verschränkte die Hände hinter dem Kopf und lehnte sich entspannt zurück. »Meine Güte, bin ich froh, dass ich hier drinnen im Warmen sitzen kann und nicht da draußen herumgurken muss. Hoffentlich dauert unser nettes Pläuschchen noch länger. Ihr Vater wird sich sicher auch sehr darüber freuen.«
»Ja ja. Ich habe verstanden.« Rainer schob die Zettel zur Seite. »Von mir aus: Ja, ich war immer noch ein bisschen in sie verschossen, und ja, manchmal, wenn Sabine wieder mit irgendeinem Hallodri geflirtet hat, bin ich eingeschritten – aber wirklich nur, weil ich besorgt um sie war.«
»Stimmt es auch, dass Sie ihr heimlich nachgestiegen sind?«
Rainer presste die Zähne aufeinander. »Nur zu ihrer Sicherheit«, sagte er schließlich. »Bei den vielen betrunkenen Touristen, die hier ständig herumrennen, ist es für junge, hübsche Frauen nicht besonders gut, allein rumzulaufen. Und Sabine ist oft noch in der Nacht allein nach Hause gegangen. ›Gesunden Abendspaziergang‹ hat sie das genannt.«
»Ist Ihnen bei einem dieser Spaziergänge etwas aufgefallen? Gab es vielleicht noch jemanden, der ihr nachgestellt hat?«
Rainer ignorierte das Wort ›nachgestellt‹ und griff gedankenverloren nach einem Energydrink, der auf dem Schreibtisch stand. »Jetzt wo Sie es sagen …« Er öffnete die Dose und genehmigte sich einen Schluck. »Vor ungefähr einer Woche hatte Sabine einen Riesenstreit mit einer Kollegin … Elfi heißt sie, glaube ich … so eine dicke Rothaarige. Der Trampel ist Sabine nach der Arbeit nachgegangen, und kurz vor ihrem Haus kam es dann zu dem Krach.«
»Und dabei ging es worum?«
Rainer zuckte mit den Schultern. »Ich war nicht nah genug dran, um etwas zu verstehen. Ich hab nur mitgekriegt, dass die Dicke ziemlich aufgebracht war. Weiber …« Er nahm noch einen Schluck von dem picksüß riechenden Getränk.
Morell kratzte sich am Kinn und überlegte, was er von Rainers Aussage halten sollte.
»Sonst noch was?« Rainer schaute ihn erwartungsvoll an. »Ich muss jetzt wieder raus und mich um mein Lokal kümmern. Sonst dreht der Alte noch endgültig durch.«
»Eine Frage habe ich noch: Wo sind Sie in der Nacht von Samstag auf Sonntag gewesen?«
»Na wo wohl? Hier natürlich. Vielleicht haben Sie es noch nicht bemerkt, aber ich habe ein Restaurant und eine Bar zu führen – da kommt man nicht oft dazu, irgendetwas anderes zu unternehmen. Kommen Sie mit!« Rainer stand auf und bedeutete Morell, ihm in den Gastraum zu folgen. »Sehen Sie die drei Männer?« Er zeigte mit dem Finger auf drei angetrunkene Kerle, die am Tresen saßen und unbeholfen versuchten, mit ein paar blonden Touristinnen anzubandeln. »Das sind drei meiner Stammgäste – die waren am Samstag auch hier und werden Ihnen bestätigen, dass ich die ganze Nacht da war.«
Morell bezweifelte, dass die drei Suffköpfe ein gutes Alibi darstellten – die konnten sich wahrscheinlich kaum daran erinnern, wo sie selbst die Nacht verbracht hatten. Zur Sicherheit notierte er sich aber deren Namen. »Alles klar, Herr Rainer«, sagte er. »Wenn ich noch etwas brauche, weiß ich ja, wo ich Sie finde.«
Rainer wandte ihm den Rücken zu. »Hoffentlich nicht«, murmelte er und verschwand hinter der Bar.
19
» OTTOOO ?!« Es war Valeries Stimme, die durch das Rauschen des Windes drang. Valerie selbst konnte Morell nicht sehen, da das Schneetreiben mittlerweile so heftig geworden war, dass die gesamte Piste sich in eine dichte, weiße Wolke verwandelt hatte.
»Bin gleich da!«, schrie er und pflügte in Zeitlupe in die Richtung, aus der ihre Stimme gekommen war. Der Schnee flog mittlerweile waagrecht, und der Wind war so stark, dass er die sonst so fluffigen Flocken in fiese kleine Geschosse verwandelte, die im Gesicht höllisch wehtaten. Um ein Haar wäre er in Valerie hineingefahren und plumpste unbeholfen auf den Boden.
»Da bist du ja.« Sie schüttelte ihre Mütze aus, die von einer dicken Schneeschicht bedeckt war, und wandte sich an Leander und Nina, die neben ihr standen. »Ich glaube, das wird heute nichts mehr. Man kann ja kaum die Hand vor Augen
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