Neumond: Kriminalroman (German Edition)
um. »Und meine Freunde vom Jugendschutz bringe ich dann auch gleich mit mit.« Er deutete auf einen Jungen, der an der Bar saß und Punsch trank. »Ich bezweifle, dass der Kleine schon 18 ist. Und was Ihr Essen angeht … Ich bin mir sicher, dass die Damen und Herren vom Gesundheitsamt ihre helle Freude damit haben werden – am besten ich nehme gleich ein paar Proben.«
»Ist ja schon gut«, gab Rainer nach. »Gehen wir in mein Büro.« Kleinlaut huschte er durch eine Tür, gefolgt von einem triumphierend grinsenden Morell.
»Also, was soll das Ganze?« Der Wirt setzte sich hinter einen Schreibtisch, auf dem sich Berge von Rechnungen türmten. »Und machen Sie schnell. Die Bude ist pumpvoll, da kann ich nicht ewig meine Zeit mit Ihnen verplempern.«
Morell setzte sich, obwohl Rainer ihm keinen Stuhl angeboten hatte, und schlug langsam und gemächlich die Beine übereinander. »Also, ich habe Zeit«, sagte er und schaute aus dem Fenster, vor dem sich eine Ansammlung von Mülltonnen befand. Die Aussicht war mindestens so mies wie das Essen. »Ich habe absolut keine Lust aufs Skifahren – je länger wir beide also hier drinnen im Warmen sitzen desto besser.« Er verschränkte die Arme. »Und stellen Sie doch bitte die Musik leiser – ich bekomme sonst noch Ohrenkrebs.«
Rainer verdrehte die Augen und nestelte am Lautstärkeregler herum. »Gut, Sie haben gewonnen. Was wollen Sie wissen?«
Morell freute sich insgeheim über den kleinen Sieg und nickte zufrieden. »Als erstes möchte ich wissen, in welcher Beziehung Sie zu Frau Weigl standen.«
»Wir hatten letztes Jahr mal was miteinander laufen. Keine große Geschichte.« Rainer zuckte mit den Schultern; als würde es ihn nicht interessieren.
Noch bevor Morell tiefer graben konnte, wurde die Tür ohne Vorwarnung aufgerissen und ein etwa siebzig Jahre alter Mann mit wirrem weißen Haar und einem dichten Schnurrbart kam ins Zimmer gestürmt.
»Ja; bist du wahnsinnig, oder was?!«, schrie er. »Die Hütte ist voll; und du hältst hier hinten ein gemütliches Schwätzchen ab.«
»Nein, Papa … Es ist nur so, dass …« Rainer hatte sich innerhalb von wenigen Augenblicken von einem überheblichen Macho in einen hilflosen Schuljungen verwandelt.
»Es ist mir wurscht was«, unterbrach sein Vater ihn ruppig. »Seit ich dir den Laden überschrieben habe, geht hier alles drunter und drüber. Nur noch Chaos und rote Zahlen. Kein Wunder.« Er deutete nach draußen.
»Papa, bitte. Der Herr hier ist von der Polizei. Was hätte ich denn tun sollen.«
»Auch das noch. Die Kieberei im Haus. Das hat uns gerade noch gefehlt. Was hast du denn ausgefressen? Na?«
»Nichts. Es geht um Sabine.«
»Natürlich geht es um Sabine. Sabine hier. Sabine dort. Sogar jetzt, wo sie tot ist, dreht sich noch alles um sie.« Rainers Vater war mittlerweile hochrot angelaufen, und der Schnurrbart bebte. »Nur damit du’s weißt – es gibt auch noch was anderes als Weiber und Saufen. Den Hexenkessel zum Beispiel! Wie konnte ich nur so dumm sein, ihn dir zu überschreiben. Da hätte ich ihn ja gleich deinem Cousin Schorsch schenken können. Der ist zwar auch ein Nichtsnutz, aber immer noch geschäftstüchtiger als du.«
»Papa! Bitte!« Rainer junior deutete auf Morell. »Können wir das nicht nachher bereden? In Ruhe?«
»Nachher hab’ ich keine Zeit. Da mach’ ich nämlich deinen Job. Ha, von wegen Pension. Jetzt steh ich erst recht wieder hinterm Tresen.« Er drehte sich um und knallte die Tür zu.
»Sorry.« Rainer vermied es tunlichst, Morell in die Augen zu schauen. »Alles nicht so leicht«, nuschelte er und kramte in seiner Zettelwirtschaft herum.
Morell, der das erste Mal seit dem Kennenlernen so etwas wie Sympathie für Rainer verspürte, nickte und war innerlich heilfroh, dass er nicht in dessen Haut steckte. »Wie war das jetzt also mit Frau Weigl«, hakte er nach. »Mir wurde erzählt, dass sie Ihnen nicht annähernd so egal war, wie Sie vorhin gesagt haben. Da soll es zum Beispiel einige Eifersuchtsdramen gegeben haben.«
Rainer, der sich vom Auftritt seines Vaters wieder gefangen hatte, zog eine Augenbraue hoch. »Die Leute reden viel, wenn der Tag lang ist«, schlüpfte er wieder in seine Machorolle. »Wenn Sie mich schon unnötig hier drinnen festnageln, kann ich die Zeit ja wenigstens sinnvoll nutzen und meine Buchhaltung sortieren.«
»Solange Sie die Buchhaltung nicht zu sehr vom eigentlichen Thema ablenkt – von mir aus«, sagte Morell gönnerhaft.
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