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Neumond: Kriminalroman (German Edition)

Neumond: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Neumond: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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sagen, sonst noch
wer
? Lieber Herr Morell, wir sind hier ein Sanatorium. Wir betreuen alte und kranke Menschen. Da stirbt schon hie und da mal jemand. Wenn Sie wollen, können wir gerne alle Todesfälle der letzten Jahre durchgehen. Ich hoffe, Sie haben viel Zeit mitgebracht.«
    »Nein, danke. Das wäre soweit alles. Beziehungsweise halt! Eine Frage habe ich noch. Sie wissen nicht zufällig, ob Frau Hölzel sich vor jemandem gefürchtet hat? Vor einer ihrer Bridge-Kolleginnen zum Beispiel?«
    Bertoni sah Morell verblüfft an. »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden, aber Frau Hölzel hat sich bei uns sicher und wohl gefühlt und sich vor niemandem gefürchtet. Und schon gar nicht vor einer ihrer Bridge-Kolleginnen. Sie haben sie doch kurz getroffen, nicht? Drei entzückende Damen.«
    »Natürlich, aber die menschliche Seele besitzt oft Abgründe, die sich bei einem kurzen Zusammentreffen nicht offenbaren. Verstehen Sie mich nicht falsch, Herr Doktor, ich glaube auch nicht, dass an der Geschichte etwas dran ist – aber nur so aus Interesse: Wenn Ihnen eine der drei Angst einflößen würde, wer wäre es?«
    Bertoni musste nicht lange überlegen. »Wenn, dann Frau Gruber«, sagte er. »Als Gott das Feingefühl verteilt hat, war sie wohl gerade nicht anwesend. Auch physisch gesehen ist sie diejenige, die am ehesten jemanden einschüchtern könnte – im Vergleich zu den beiden anderen.« Er spielte an dem Stethoskop herum, das um seinen Hals hing. »Was rede ich denn nur daher«, sagte er dann. »Frau Gruber ist unter ihrer rauen Schale eine sehr herzliche, nette Frau. Niemand, vor dem man sich fürchten müsste.«
    Morell musste ihm zustimmen. »Vergessen Sie meine Fragen einfach«, sagte er. »Danke für Ihre Zeit.«
    »Sollten Sie noch mehr abstruse Fragen haben, wissen Sie ja, wo Sie mich finden können.« Bertoni schenkte Morell noch einen leicht gereizten Blick und schloss dann die Tür.
    ›Der Doktor hat recht‹, sinnierte Morell. Keine der drei Frauen war zum Fürchten, mit ihren totgerauchten Lungen, kaputten Blutkörperchen und was auch immer der gebrechlichen Frau Hanauer fehlte. Hölzel hatte entweder etwas falsch verstanden oder wollte von sich selbst ablenken.

38
    Patrick konnte noch immer nicht fassen, dass er am Leben war. Kein Mensch hatte bisher das Zusammentreffen mit einem Tatzelwurm überlebt – zumindest stand nichts davon in den Büchern … Er war der Einzige, dem das je gelungen war.
    Trotzdem konnte er sich nicht freuen. Dafür steckte der Schreck über den nächtlichen Besuch ihm noch viel zu tief in den Kochen.
    Seit gestern Abend hatte er weder ein Auge zugemacht noch einen Bissen hinuntergekriegt. Angst schlug sich bei ihm immer auf den Appetit und das Schlafvermögen. Und er hatte Angst. Panische Angst. Jedes noch so leise Geräusch und jeder noch so schwache Schatten am Fenster lösten bei ihm Todesangst aus. Es reichte bereits das Knacken eines Dielenbretts oder das Schlagen eines Fensterladens, um seinen ganzen Körper mit einer Gänsehaut zu überziehen.
    Die ganze Sache war nämlich noch lange nicht überstanden. Ganz im Gegenteil. Die Sache fing jetzt erst so richtig an: Der Tatzelwurm würde zurückkommen. Wütender als zuvor. Dieses Mal würde er sich nicht mehr verjagen lassen. Dieses Mal würde er nicht ohne seine Schuppe in den Wald zurückkehren.
    Bei dem Gedanken daran, was der Tatzelwurm alles mit ihm anstellen würde, fing Patrick an zu zittern. Er sah silberne Schuppen, die im Mondschein glänzten, stahlharte Krallen, spitze Zähne, leuchtende gelbe Augen, weißen Schnee und rotes Blut. Sein Blut. Überall.
    Soweit durfte er es nicht kommen lassen. Er musste etwas unternehmen. Musste sich selbst retten. Und Mutter natürlich. Und den flauschigen kleinen Pudel der Nachbarn. Und die Gäste. Er durfte nicht warten, bis der Tatzelwurm zurückkam und ein Unheil anrichtete.
    Er musste mutig sein. Musste seine Angst überwinden. Sich verhalten wie ein Erwachsener. Aber was konnte er tun? Er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. Wieder und wieder. Und plötzlich tauchte aus den Tiefen seines Unterbewussteins eine Erinnerung auf …
    Patrick schoss hoch, holte eines seiner Märchenbücher aus dem Regal, schlug es auf und suchte hektisch nach einer bestimmten Stelle. Seine Hände zitterten dabei so sehr, dass es ihm schwerfiel, die dünnen Seiten umzublättern, ohne sie dabei einzureißen oder zu zerknittern. Schließlich fand er, wonach er gesucht

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