Neumondkuss: Ein Vampirroman (German Edition)
überlegen, was wir zu Abend essen.«
»Ich habe keinen Hunger«, sagte Jolin.
Anna trat neben sie und streckte ihren Kopf ebenfalls in den Flur. »Ich auch nicht.«
»Ihr seht verdammt müde aus, ihr zwei«, sagte Gunnar.
»Wir hatten einen ziemlich harten Tag«, erwiderte Jolin. Ihr Blick fiel auf den Anrufbeantworter. Das rote Lämpchen blinkte. Jemand musste angerufen haben, doch weder Anna noch sie hatten das Klingeln gehört, und Jolin konnte sich auch nicht erinnern, ob es vorhin, als sie heimgekommen waren, bereits geleuchtet hatte.
Gunnar bemerkte es nicht, und aus irgendeinem Grund, den sie sich nicht erklären konnte, beruhigte sie das.
»Ihr solltet trotzdem etwas essen«, sagte er und steuerte auf die Küche zu. »Ich schau mal nach, was wir so im Kühlschrank haben. Ein schöner Salat und ein Vitamindrink«, er zwinkerte den Mädchen zu, bevor er durch die Tür verschwand. »Das geht immer runter. Und es wird euch guttun.«
Jolin verdrehte die Augen. »Er redet schon genauso wie meine Mutter«, raunte sie Anna zu, dann deutete sie auf den Anrufbeantworter. »Hat das vorhin schon geblinkt?«
Anna zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Darauf hab ich nun wirklich nicht geachtet.«
Jolin wollte gerade zur Kommode rüberhuschen, da schoss aus der Küche eine Hand hervor, die einen Salatkopf auf den Fingerkuppen trug.
»Frisee mit Gurken, Tomaten, Putenbrust, Käse, Ei und gerösteten Sonnenblumenkernen … Was haltet ihr davon?«
»Klasse Idee, Pa«, sagte Jolin und bemühte sich um einen betont leichten Ton in der Stimme, »wenn du willst, machen Anna und ich die Salatsoße. Dann brauchst du die Zutaten nur zu waschen und zu schnippeln.«
»Super Arbeitsteilung«, meinte Gunnar Johansson. »Zwei rühren in einer Schüssel, und einer kümmert sich um den ganzen unerheblichen Rest.« Hinter dem Salatkopf tauchte sein breit grinsendes Gesicht auf. Er zwinkerte seiner Tochter zu, dann fiel sein Blick auf die Telefonanlage. »Oh, das wird Paula gewesen sein.«
»Wo?«, fragte Jolin irritiert, doch anstatt zu antworten, drückte Gunnar ihr den Salatkopf in die Hand.
»Vielleicht hat sie früher Schluss und möchte, dass ich sie abhole«, sagte er hoffnungsvoll, wischte sich die Hände an der Küchenschürze ab und nahm den Hörer aus der Station.
Jolin rutschte das Herz in die Hose. Sie tauschte einen schnellen Blick mit Anna. Bitte lass es nicht Rouben gewesen sein, dachte sie, Klarisse, die krauses Zeug redet, oder Leo mit einem bescheuerten Panikanruf. Nichts davon war wirklich naheliegend, trotzdem wurde Jolin das Gefühl nicht los, dass es besser wäre, wenn dieser Anruf ihren Vater nicht erreichte. Und während sie sich das Gehirn zermarterte, wie sie es vielleicht noch verhindern könnte, drückte Gunnar auf den Tasten herum, hob den Hörer ans Ohr und lauschte.
Jolin verwarf die Idee, ihm das Teil aus der Hand zu schlagen, ebenso spontan, wie sie ihr gekommen war, und überlegte, ob sie stattdessen ohnmächtig zu Boden sinken sollte, da steckte er den Hörer schon wieder in die Station zurück.
»Und?«, fragte Anna. »War sie es?«
Gunnar sah sie kurz an, dann heftete er seinen Blick für einen Moment auf Jolin, bevor er nickte und abermals mit den Händen über die Schürze fuhr. »Äh … ja, allerdings … ähm … ich soll sie später noch mal anrufen.«
»Dann weiß sie also noch nicht, wann sie fertig sind?«, fragte Jolin lauernd.
»Ähm … nein.« Ihr Vater überspielte seine offensichtliche Verunsicherung mit einem Lächeln und sagte betont fröhlich: »Na, dann mal ran an die Buletten.« Er nahm ihr den Salatkopf ab, setzte ihn mit dem Strunk auf die Spitze seines Zeigefingers und balancierte ihn gekonnt in die Küche.
Jolin seufzte leise. »Ich wüsste zu gerne, wer das gewesen ist. Meine Mutter jedenfalls nicht.«
»Mach dir keine Gedanken«, raunte Anna. »Diese Sache betrifft es bestimmt nicht.«
Jolin hoffte inständig, dass ihre Freundin mit dieser Einschätzung richtig lag. Die Vorstellung, ihre Eltern könnten einen Hinweis bekommen, dass sie Umgang mit Vampiren hatte, war geradezu irrwitzig, und trotzdem befürchtete sie, dass genau das passiert war.
Gunnars Verhalten sprach jedenfalls Bände. Während der Zubereitung des Abendessens stand sein Mundwerk nicht still. Er kommentierte Größe, Form und Zustand jedes einzelnen Salatblatts, machte aus dem Zerkleinern von Gurken, Tomaten und Zwiebeln eine eigene Wissenschaft und spekulierte ohne Punkt und
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