der Auswahl behilflich zu sein.« Es war eindeutig eine Männerstimme, aber es war keinesfalls die von dem Antiquar, den sie kannte.
Jolins erster Reflex war, den Laden so schnell wie möglich wieder zu verlassen. Ohnehin war es ein törichter Einfall gewesen, ausgerechnet hier noch mal herzukommen. Genauso gut hätte sie auch der alten Burgruine einen Besuch abstatten können. Und dort kriegten sie garantiert keine zehn Pferde mehr hin.
Doch Jolin wollte auch nicht feige sein. Das Mühlengässchen war zwar ein Relikt aus den letzten Jahrhunderten, aber es lag immerhin mitten in der Stadt. Und man konnte es auch nicht unbedingt als unbelebt bezeichnen.
Hastig wandte Jolin sich dem Fenster zu und warf einen Blick auf die schmale, mit Katzenköpfen gepflasterte Straße hinaus. Gerade ging eine Gruppe fröhlich schnatternder junger Frauen vorbei. Und auf der anderen Seite standen zwei Männer und ein älteres Ehepaar mit einem kleinen Hund und unterhielten sich angeregt.
Plötzlich hörte sie hinter sich ein Geräusch. Es klang wie ein Rascheln, dem ein paar schnelle Schritte folgten.
Jolin wirbelte herum und bemerkte einen Schatten, der sich blitzschnell hinter die Kasse duckte. Nur den Bruchteil einer Sekunde später kroch eine feine eisige Kälte in ihre Hosenbeine, leckte an ihren Knöcheln und tastete sich an ihren Waden entlang nach oben. Im ersten Moment glaubte Jolin, ohnmächtig zu werden. Wie hypnotisiert starrte sie auf die schwarze Registrierkasse. Ihr Herz raste, ihre Muskeln waren gespannt wie Drahtseile, und das Atmen tat ihr weh. Raus hier!, schrie alles in ihr. Sofort raus!
Doch ihre Neugier war stärker. Jolin musste nachsehen, wer sich hinter dem Tresen versteckte. Sie musste sicher sein können, dass die Erinnerung ihr nur einen Streich spielte, dass es bloß wieder ihre Angst war, die all diese Ereignisse inszenierte, keine Realität also, sondern nur ein Abbild ihrer Furcht.
Sie zitterte am ganzen Körper, als sie langsam, Schritt für Schritt, auf die Registrierkasse zuging. Weiter!, zwang sie sich in Gedanken, nicht überlegen, nicht zögern, sondern gehen, gehen, gehen … Und dann stand sie vor dem Tresen. Sie hätte sich nur ein wenig nach vorn beugen und in die Dunkelheit auf der anderen Seite spähen müssen, aber das, was sie sich so fest vorgenommen hatte, brachte sie nun in dieser letzten entscheidenden Sekunde doch nicht fertig.
Jolin machte eine Kehrtwende. Sie spürte die eisige Kälte an ihren Knien, und Panik krallte sich wie ein kleiner Teufel in ihrem Nacken fest. »Rouben!«, brach es verzweifelt aus ihrer Kehle hervor. Sie stolperte zur Tür und flog geradezu auf den Bürgersteig hinaus.
Die Kälte glitt von ihren Beinen ab und erzeugte einen eisigen Sog, der einen kleinen Zettel durch den Spalt der zufallenden Tür stieb und um Jolin herumwirbelte.
Wer im Zwielicht lebte
und durch die Liebe eines Menschen
daraus erlöst wurde,
wird ein Wesen
von besonderer Gabe sein,
aber immer
einen Teil der Dunkelheit
in sich tragen
las Jolin, nachdem der Zettel sanft hin und her tänzelnd zu Boden geschwebt war und schließlich vor ihr auf den Pflastersteinen liegen blieb. Die dunkelroten Lettern erinnerten sie an getrocknetes Blut, und Jolin erkannte auf den ersten Blick, dass es sich um dieselbe Schrifttype handelte wie in der Prophezeiung.
Wie in Trance hob sie den Zettel auf, schob ihn in ihre Manteltasche und rannte los.
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hallo, tod, wo steckst du? du bist doch nicht etwa beleidigt?
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sorry, aber ich musste mich ein wenig um mein nächstes opfer kümmern …
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interessant! – verrätst du mir, wer die unglückliche ist?
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du bist ganz schön naiv!
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entschuldige, aber ich glaube, ich kann dir nicht ganz folgen.
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das musst du auch nicht.
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okay, dann streichst du meine daten vielleicht besser aus deinem gedächtnis.
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ach, meine schöne, wenn du nicht