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Neumondkuss: Ein Vampirroman (German Edition)

Neumondkuss: Ein Vampirroman (German Edition)

Titel: Neumondkuss: Ein Vampirroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schröder
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Jolin. »Welches Amt kümmert sich denn darum?«, erkundigte sie sich.
    »Ordnungsamt! Ausländerbehörde!« Die Frau warf wütend ihre Arme in die Luft. »Lauter Wichtigtuer! Leute, die sich nicht in einen hineinversetzen wollen, denen es egal ist, wie man sich fühlt, wenn man nirgendwo zu Hause sein darf. Aber jetzt kommen sie nicht mehr. Seit ein paar Wochen schon war niemand von denen mehr hier. Die hoffen, dass die anderen das erledigen.«
    »Wen meinen Sie? Und was sollen die erledigen?«, fragte Jolin.
    »Die aus den Nachbarcontainern. Die sollen uns die Hölle heiß machen, bis wir freiwillig abhauen. Kapierst du, Kindchen? Bis Herbert und ich unsere Habseligkeiten zusammenpacken und ins Obdachlosenheim verschwinden. Dort schläft man getrennt, sogar als verheiratete Leute. In Zimmern mit vier Betten, wenn man Pech hat, sogar acht. Glauben Sie mir, ich will nicht viel vom Leben, aber da geh ich dann lieber auf die Straße und schlafe im Freien. Wenn Herbert nicht diesen schrecklichen Husten hätte, hätten wir das ja vielleicht schon längst getan. Dann hätten wir unsere Ruhe. Ruhe, das ist nämlich auch etwas Schönes.« Das ohnehin schon schmale Gesicht der Frau fiel noch mehr in sich zusammen. Betreten senkte sie den Kopf und nestelte wieder an ihren Mantelknöpfen herum.
    »Vielleicht könnte ich mal mit den Leuten vom Amt sprechen«, bot Jolin ihr an.
    »Das würden Sie tun, Kindchen?«
    »Ja, natürlich. Warum denn nicht?«
    Die Frau nickte. Jolin bemerkte, wie ihre Augen kurz aufleuchteten, dann von ihr wegglitten und mit wachsendem Erstaunen etwas hinter ihr fixierten. Im selben Augenblick vernahm Jolin Roubens Schritte. Sie drehte sich kurz um und sagte: »Das ist übrigens …«
    »Harro«, sagte die Frau. »Er sah zwar nicht so gut aus. Aber er war es.«
    »Nein, also …« Jolin fing an zu stottern. »Das ist Rouben. Er ist Harros Sohn.«
    Die Frau nickte. »Da sieh mal einer an.« In ihrem Blick lag tiefe Bewunderung und auch so etwas wie Ehrfurcht. »Schade, dass mein Herbert gerade nicht da ist. Er wollte nur mal schnell Zigaretten holen.« Sie hob sich auf die Zehenspitzen und reckte den Hals in Richtung Wohnsiedlung. »Manchmal hab ich richtig Angst, dass er gar nicht mehr zurückkommt.« Dann schüttelte sie den Kopf und wandte sich wieder Jolin und Rouben zu. »Ach was! Man muss ja nicht immer gleich an das Schlimmste denken im Leben«, fuhr sie fort und lächelte. »Sie sehen wirklich verdammt gut aus, junger Mann! – Aber deshalb müssen Sie ja nicht gleich mit Heulen anfangen.«
    Jolin zuckte zusammen. Sie traute sich kaum, ihren Blick auf Rouben zu richten, und als sie es schließlich doch tat, ging ihr das Herz über.
    Rouben stand wie festgewachsen da, im fahlen Licht des herandämmernden Abends so schön und unwirklich wie ein Engel, den Blick auf den Container und die Frau und zugleich nach innen gerichtet, die Farbe seiner Augen so dunkel und glänzend wie flüssiger Kakao und mit einem Zug um den Lippen, den Jolin noch nicht kannte, weich und verletzlich und von einer Zartheit, die kaum zu ertragen war.
    Du hast ihn ja doch geliebt, dachte Jolin. Und du hast ihn besser gekannt, als du zugibst. In Wahrheit bist du also nicht immer ehrlich zu mir gewesen. Diese Erkenntnis tat so weh, dass ihr ebenfalls die Tränen in die Augen schossen. Hastig senkte sie den Kopf und stand weiter unschlüssig da, obwohl sie am liebsten auf der Stelle geflüchtet wäre.
    »Er war ein feiner Kerl, Ihr Vater«, hörte sie die Frau sagen. »Aber glauben Sie’s ruhig: Dort, wo er jetzt ist, ist er genauso glücklich oder unglücklich wie hier. Der Harro, der war nämlich so einer.«
    »Ich weiß«, sagte Rouben. »Vielen Dank.«
    »Und dass Sie die kleine Jolin kennen, das hätte ihn sehr gefreut«, fuhr die Frau fort. »Er hat immer so schön von ihr gesprochen … Ach ja … Sie sind aber nicht zusammen … Nein? … Sie wären so ein schönes Paar.«

    Jolins Brustkorb drohte auseinanderzuplatzen. Mit schnellen Schritten lief sie vor Rouben her, der Herzschlag pulsierte in ihren Ohren, in ihren Kniekehlen, in ihren Fingern, an ihrem Hals, und die Fragen fuhren Achterbahn in ihrem Kopf. Sie wollte schreien, schimpfen, betteln, flehen, doch das würde alles ja bloß noch schlimmer machen, also ließ sie es. Oh, ja, sie konnte vernünftig sein, wenn sie es wollte. Die alte Jolin war noch nicht ganz verschwunden, sie ließ sich durchaus hervorholen und als Schutzschild vor die neue, so viel

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