Neumondkuss: Ein Vampirroman (German Edition)
denkst«, versuchte Anna das Unglück abzumildern, doch da war sie bei Jolin an der falschen Adresse.
»Im Gegenteil: Es ist genau so , wie ich denke«, widersprach sie ihrer Freundin. »Und es ist gut, dass ich es weiß.«
Anna seufzte. »Dann weißt du mehr als ich.«
»Das soll unter besten Freundinnen vorkommen.«
»Verdammt nochmal, Jol«, blaffte Anna. »Ich bin nicht in ihn verliebt! Ich mag ihn einfach sehr gern. Du bist schließlich auch mit ihm befreundet.«
»Stimmt. Ich hab mich allerdings noch nie dermaßen für ihn ins Zeug gelegt wie du.«
»Er ist mit Carina zusammen«, sagte Anna so, als ob sie ihre Freundin an etwas erinnern müsste, das in Vergessenheit geraten war. »Er liebt sie, und ich würde den Teufel tun und versuchen, ihn ihr auszuspannen. Ganz besonders jetzt, wo es ihr so schlechtgeht.«
»Also doch«, sagte Jolin nur, und an Annas Schweigen erkannte sie, dass sie recht hatte. Aber darum ging es ihr gar nicht. Ebenso wenig, wie es letztendlich eine Rolle spielte, ob Anna Carina Leo ausspannte oder nicht. Seitdem Jolin in Rouben verliebt war, wusste sie nur allzu gut, dass man getrost alle Vorsätze und Regeln über Bord werfen konnte, wenn es um echte, tiefe Gefühle ging. »Willst du mir nicht endlich sagen, was ihr fehlt?«, fügte sie sanft hinzu.
»Okay … Du lässt ja sowieso nicht locker.«
»Stimmt. Also raus mit der Sprache. Ich werde schon nicht gleich zu Leo laufen und es ihm brühwarm erzählen.«
»Es ist wegen ihres Bluts«, begann Anna zögernd.
Jolin spürte einen plötzlichen Druck auf ihrer Kehle. »Aha? Und was heißt das?«
»Hab ich dir doch heute Morgen schon erzählt. Es gerinnt nicht.«
»Ist das etwas Besonderes?«, fragte Jolin irritiert, und mit einem Schlag wurde ihr bewusst, dass sie tief in ihrem Inneren mit etwas bedeutend Schlimmerem gerechnet hatte.
»Nicht, wenn man ein Bluter ist«, sagte Anna. »Oder wenn man ein Antihämostatikum einnimmt.«
»Ein was?«
»Ein Mittel, das die Blutgerinnung verhindert.«
»Ach so …« Jetzt erinnerte sich Jolin auch an diese Heparingeschichte.
»Bei Carina ist weder das eine noch das andere der Fall«, erklärte Anna ihr. »Die Bluterkrankheit ist erblich. Man kann sie sich also nicht zuziehen wie eine Grippe, die durch einen Virus ausgelöst wird.«
»Hm, und ein solches Medikament, das die Blutgerinnung verhindert, nimmt sie natürlich auch nicht ein«, schlussfolgerte Jolin.
»Eben. Das habe ich dir übrigens ebenfalls bereits erzählt.«
Es klang ziemlich vorwurfsvoll, aber Jolin wollte nicht darauf eingehen. »Wie hat man es denn überhaupt gemerkt?«, fragte sie stattdessen.
»Carina hat sich geschnitten, und die Wunde hörte nicht auf zu bluten. Im Gegenteil, es wurde immer schlimmer«, sagte Anna. »Bis Carina in der Notfallklinik war und die Ärzte endlich ein Mittel fanden, das anschlug, hat sie vermutlich über einen Liter Blut verloren. Das tritt selbst bei einer normalen Bluterkrankheit selten so dramatisch auf.«
»Du meine Güte! Und wie erklärt man sich das?«
»Gar nicht. Leo betont immer wieder, dass die Ärzte vor einem Rätsel stehen. Ich habe allerdings das Gefühl, dass er eine gewisse Vermutung hat.«
»Eine gewisse oder eine bestimmte?«, erwiderte Jolin.
Plötzlich schlug ihr das Herz bis zum Hals.
»Siehst du, du denkst es auch!« Anna klang beinahe erleichtert.
»Was?«, fragte Jolin, denn sie hielt es vorläufig für klüger, sich dumm zu stellen.
»Na, dass es mit dem Überfall zu tun hat, den Carina im Winter beobachtet hat.«
»Das ist Blödsinn, Anna!« Jolin sagte es so, als ob sie es tagelang geübt hätte. »Dieser Typ damals – wer auch immer es gewesen ist –, er hat sie nicht angerührt.«
»Und wenn doch? Wenn Carina sich nur nicht getraut hat, es zu erzählen, weil alle sie dann mit ziemlicher Sicherheit für wahnsinnig erklärt hätten?«
Jolin schwieg, denn Anna hatte recht, aber das war nicht der Punkt. Vielmehr ging es um die Vermutung, die sich dahinter verbarg.
»Es ist Blödsinn«, wiederholte sie. »Und das weißt du auch.«
»Entscheidend ist nicht, was ich denke«, erwiderte Anna nun beinahe flüsternd.
Jolin schluckte. Ihr Puls raste jetzt in einem Höllentempo, und ihre Finger fingen an zu schwitzen. Sie musste sich mit aller Macht darauf konzentrieren, dass ihr das Handy nicht aus den Fingern rutschte. »Was denkst du denn?«, fragte sie leise.
»Dasselbe wie du.«
»Dass es ein Vampir gewesen ist?« Jolin würgte ein
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