Neumondkuss: Ein Vampirroman (German Edition)
Rouben sollte sich ruhig zusammenreimen können, wozu sie imstande war. Ihm musste klar sein, dass er sie nicht allein zurücklassen durfte. Lieber wollte sie genauso sein wie er.
Jolin hielt das Handy fest umklammert, als sie ein zweites Mal ans Fenster trat. Die Wolkendecke hatte sich geöffnet und gab den Blick auf den Mond frei. Noch drei oder vier Tage, und er würde rund und voll sein.
Plötzlich spürte Jolin ein Vibrieren in ihrer Hand. Mit klopfendem Herzen öffnete sie ihre Finger und registrierte den Eingang einer Nachricht. Rouben hatte geantwortet.
ich weiß, dass er zurück ist, und ich weiß auch, was mit dir geschieht.
ich kenne seinen perfiden plan.
bitte melde dich, wir müssen reden.
ildmaml ((j))
Jolin ließ sich auf die Bettkante sinken und starrte ungläubig auf das Display. Dass die SMS gar nicht rausgegangen war, konnte sie ausschließen, dann hätte sie nämlich gleich eine entsprechende Meldung bekommen. Also musste Rouben die Nachricht so, wie er sie erhalten hatte, wieder zurückgeschickt haben. Aber was bezweckte er damit? Wollte er ihr signalisieren, dass er sie nicht gelesen hatte … dass es sinnlos war, ihm überhaupt noch Nachrichten zu schicken, weil er sie in Zukunft gar nicht mehr öffnen würde?
Fieberhaft las Jolin den Text Wort für Wort noch einmal, wieder und wieder, bis ihr irgendwann auffiel, dass Rouben gleich im ersten Satz ein Wort – ein unauffälliges auch – eingefügt hatte. Was zum Teufel wollte er damit andeuten? Der Sinn änderte sich dadurch nämlich nicht, in gewisser Weise setzte er damit jedoch eine Betonung auf den letzten Teil des Satzes.
»Was willst du mir sagen?« Jolin schloss die Augen, um sich besser konzentrieren zu können. »Dass meine Vermutung richtig ist?«
wann können wir uns sehen?, schrieb sie zurück, und Roubens Antwort darauf kam postwendend.
wann können wir uns nicht sehen?
Jolin schüttelte den Kopf. Warum wollte er nicht begreifen, dass das der falsche Weg war?
ich sterbe, wenn ich dich nicht sehe!, tippte sie mit zitternden Fingern ein.
Wieder musste sie nicht lange warten, aber anders als bei den vorherigen Malen hatte Rouben diesmal ein Wort gelöscht.
ich sterbe, wenn ich dich sehe!
Jolin holte tief Luft. »Nein, das werde ich nicht«, murmelte sie.
ich kann deine wärme spüren, schrieb sie zurück.
ich weiß, deine liebe ist noch stark genug, also hör auf, in rätseln zu schreiben. lass uns telefonieren – oder noch besser: komm vorbei!
rouben, ich bitte dich!
Die Sekunden verstrichen, ohne dass etwas geschah. Angespannt starrte Jolin auf das Display. Ihr war heiß, ihr Herz trommelte hart gegen ihr Brustbein, und sie spürte, wie das Blut in ihrem Hals und in ihren Schläfen pulsierte. Eine Schweißperle löste sich von ihrer Stirn, verharrte einen Augenblick in ihrer Braue und rann schließlich an ihrer Nase herab. Unwillig wischte Jolin sie fort.
»Bitte!«, hauchte sie. »Bitte, Rouben, melde dich. Nur noch dieses eine einzige Mal.«
Zwei Minuten vergingen … drei … Jolins Hand zitterte so sehr, dass die Anzeigen auf dem Display verschwammen. Ihre Augen brannten, ihre Kehle war trocken und rau, und in ihrer Brust dröhnte ein bohrender Schmerz. Und dann, in derselben Sekunde, in der sie das Handy schon in die Ecke schleudern wollte, schrillte es plötzlich los.
Diesmal war es keine Nachricht, sondern ein Anruf. Und es war Roubens Nummer, die angezeigt wurde.
Vor Aufregung verfehlte Jolin fast die Verbindungstaste. Jetzt nur keinen Fehler machen, bloß nichts vermasseln! Sie riss das Handy ans Ohr und schrie seinen Namen wie eine Ertrinkende heraus: »Rouben! – Rouben, bitte tu uns das nicht an!«
»Jolin, du weißt nicht …« Seine Stimme war leise, rau und kehlig, fast wie die von einem Tier. Und sie klang furchtbar gehetzt.
Jolin versuchte, sich nicht davon irritieren zu lassen. Sie musste sagen, was sie zu sagen hatte, bevor es zu spät war.
»Doch, Rouben, ich weiß alles«, stieß sie hervor. »Vincent … er war heute hier. Er verwandelt dich. Und ich … ich möchte nicht ohne dich zurückbleiben!«
Rouben antwortete nicht. Wieder drang nur Stille an ihr Ohr. Jolin hörte ihn nicht einmal atmen.
»Bist du noch da?«, wisperte sie.
»Ja.« Es kam zögernd, und es klang furchtbar gequält.
»Hast du mich verstanden?«
»Ja … aber ich kann das nicht tun.«
»Doch, Rouben, doch. Das kannst du.« Jolins Stimme überschlug sich. Plötzlich hatte sie das
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