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Neun Tage Koenigin

Neun Tage Koenigin

Titel: Neun Tage Koenigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Meissner
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sicherer gewesen …
    Der Moment der Erkenntnis verging, als meine Mutter verärgert den letzten Teller in die Hand nahm, um ihn einzupacken. Ihre Bewegung schien dazu zu führen, dass die Welt sich weiterdrehte. Ich griff nach einer Stuhllehne, um mich wieder zu fangen, während sie das Geschirr in den Korb packte.
    „Ich muss los.“
    Sie rauschte mit dem Wäschekorb an mir vorbei in Richtung Ausgang, vorbei auch an der Macy’s- Tüte, die sie beim Hereinkommen auf dem Boden abgestellt hatte.
    Wilson, der sah, dass sie ging, nahm die Tüte und rief ihr hinterher: „Sophia, Ihre Tüte.“
    Sie drehte sich zwar kurz um, sagte dann aber, ohne stehen zu bleiben, kurz angebunden: „Die ist für Jane. Es sollte eine Überraschung sein.“
    Und dann war sie auch schon zur Tür hinaus.
    Wilson drehte sich zu mir um. Wortlos ging ich zu ihm hin und schaute in die Tüte hinein. Die Kaminuhr, die sie sich für die Dekoration des Stadthauses von mir ausgeliehen hatte, die Titanic -Uhr, lag in mehrere Schichten Vlies gewickelt darin. Ich nahm sie aus der Tasche.
    Sie tickte.
    Ich saß mit einer Tasse Earl Grey und einer Packung Schmerztabletten am Tisch mit den Neuerwerbungen. Die Uhr stand neben meiner Tasse und markierte die Minuten in einem langsamen, rhythmischen Tanz. Wer auch immer sie repariert hatte, hatte auch die Messingverzierungen und die Mahagoniblüten poliert. Das Holz glänzte unter meiner Ladenbeleuchtung wie geschmolzene Schokolade.
    Wilson stand neben mir. Er hielt etwas in den Händen, aber ich blickte nicht auf, um zu sehen, was es war.
    „Ich kann nicht glauben, dass sie sie hat reparieren lassen“, sagte ich.
    „Ich glaube, sie hat nicht gewusst, wie gut sie Ihnen gefallen hat, als sie kaputt war.“
    „Ich hatte ihr sogar explizit gesagt, dass sie mir kaputt gefällt! Ich hatte ihr gesagt, dass ich sie nicht repariert haben möchte.“
    Ohne aufzublicken, spürte ich, wie er mit den Achseln zuckte.
    „Dann machen Sie sie doch wieder kaputt“, sagte er.
    „So einfach ist das nicht, Wilson. Die Uhr war … etwas Besonderes.“
    „Aber es ist immer noch dieselbe Uhr, Jane.“
    Ich massierte meine rechte Schläfe und trank einen Schluck Tee. Wilson berührte mich an der Schulter.
    „Sie hat diese Untertasse hier vergessen.“
    Ich drehte mich zu ihm um und sah auf seine Hand. Er hielt eine Untertasse des Meißener Porzellans darin.
    „Na toll“, murmelte ich.
    „Vielleicht könnten Sie sie ihr ja noch bringen“, meinte er sanft. „Auf dem Weg zu Ihrem Termin. Und dann können Sie ihr sagen, dass sie Ihr Leben ruiniert hat, weil sie die Uhr hat reparieren lassen.“
    Ich schaute mit einem Ruck zu ihm auf.
    „Ich habe nie gesagt, dass dadurch mein Leben ruiniert ist.“
    „Ach …“ Er reichte mir die Untertasse, zwinkerte mir zu und fügte hinzu: „Dann habe ich das wohl falsch verstanden.“

Zweiunddreißig
    Die New Yorker U-Bahn ist einer der wenigen Orte, an denen man zwischen unzähligen Menschen eingezwängt sein und sich dennoch gleichzeitig einsam fühlen kann.
    Als der Zug auf der Brooklyn Bridge über den Fluss zuckelte, spürte ich Ellbogen, Hosenbeine und Schenkel von anderen Passagieren, die sich dieses seltsamen Phänomens völlig unbewusst zu sein schienen. Sie drängten sich an mich und an die anderen Leute um sie herum, aber ihre Aufmerksamkeit war ganz auf ihre Zeitung gerichtet, auf einen Lolli, auf Handys oder auf das Nichts, das an den Zugfenstern vorbeirauschte. Jeder steckte in seinem eigenen kleinen persönlichen Gedankenreagenzglas.
    Meine Mutter war dankbar über mein Angebot, ihr die Untertasse zu bringen, auch wenn sie mir indirekt zu verstehen gab, dass es schließlich auch meine Schuld sei, dass sie das Stück überhaupt vergessen hatte. Unser Streit hätte sie abgelenkt und auch ein kleines bisschen verletzt. Jedenfalls klang sie verletzt, als ich sie anrief, um ihr mitzuteilen, dass ich mit der Untertasse zu ihr unterwegs sei und deshalb die Adresse des Hauses bräuchte, in dem sie gerade zugange war.
    Das Apartment, das meine Mutter für den Verkauf herrichtete, lag in einer Gegend von New York, die von Einheimischen Dumbo genannt wird – was die Abkürzung von Down Under the Manhattan Bridge Overpass ist. Vor hundert Jahren, als es die Brooklyn Bridge noch nicht gab, waren die Dumbo-Wohnblocks als Fulton Landing bekannt und von Manhattan aus mit der Fähre zu erreichen. Als der Fährbetrieb dann wegen der Brücke eingestellt wurde, verkam die Gegend zu

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