Neun Tage Koenigin
so einfach war es nicht. „Aber ich kann Brad nicht glücklich machen.“
„Das bedeutet aber noch lange nicht, dass du einfach herumsitzen und nichts tun sollst, wenn er unglücklich ist. Wenn du Brad liebst, dann gibst du ihn nicht auf, sondern du hältst zu ihm.“
„Auch wenn er geht?“
„Ganz besonders dann.“
„Er ist mir sozusagen untreu gewesen!“
„Na ja, es klingt aber nicht so, als ob er sich wünschte, er wäre es wirklich gewesen.“
Eine Träne lief mir übers Gesicht. Ich wischte sie weg. „Bei dir hört sich das alles so unglaublich einfach an.“
„Wer hat denn gesagt, dass es einfach wäre?“, rief sie. „Also wirklich, Jane! Mach doch mal die Augen auf! Das ist harte Arbeit. Du musst es mehr wollen als alles andere. Und bereit sein, dafür alles zu geben.“
Sie wandte sich wieder von mir ab, so als wäre sie tief enttäuscht von mir. Aber ich sah, dass sie sich ins Gesicht fasste und etwas wegwischte. Sie litt um meinetwillen, wünschte sich genau wie alle Mütter, dass ich glücklich war. Das war eine Seite an ihr, die ich nie gesehen hatte, vielleicht auch nie hatte sehen wollen. Und ich konnte nicht anders, als mich zu fragen, ob es nicht auch im Laufe ihrer fünfundfünfzig
Ehejahre Zeiten gegeben hatte, in denen sie am liebsten davongelaufen wäre, dann aber entschieden hatte, es nicht zu tun. Und das nicht, weil es das Einfachste war, sondern das Richtige.
„Man gibt doch einen Menschen nicht auf, weil er unglücklich ist“, sagte sie, während sie mit dem Rücken zu mir dastand. „Und du willst doch auch nicht, dass er dich so einfach aufgibt.“
Ich stand da, starrte ihren Rücken an und dachte über diese Worte nach; Worte, die aus dem tiefsten Inneren meiner Mutter kamen, die aber auch aus irgendeinem verborgenen Ort in meinem eigenen Inneren aufgestiegen waren.
Brad hatte mir gesagt, wir müssten etwas finden, das stark genug sei, uns zusammenzuhalten. Etwas genauso Starkes oder noch Stärkeres als Anziehung.
Ich wusste jetzt endlich, was dieses Starke war. Wir selbst waren es. Er und ich mussten die Starken sein. Wir mussten anfangen, all die kleinen, unspektakulären Gründe aufzuzählen. Und er und ich mussten das kitten und wieder zusammenfügen, was kaputt war.
Ich ging zu meiner Mutter und schlang von hinten die Arme um sie. Zunächst versteifte sie sich, aber dann entspannte sie sich langsam.
„Danke.“
„Wofür denn?“, fragte sie und versuchte, gleichgültig zu klingen, allerdings nicht besonders überzeugend.
„Dafür, dass du die Uhr hast reparieren lassen.“
„Du zerknitterst ja meinen Hosenanzug.“
Ich musste lächeln.
„So … ich muss jetzt wieder los“, sagte ich und drückte ihre Schultern ein wenig fester.
Sie nickte, war aber noch nicht wieder ganz bereit, sich zu mir umzudrehen.
Ich war ein paar Schritte in Richtung Wohnungstür gegangen, als sie meinen Namen rief.
Ich drehte mich um. „Ja?“
„Deine Visitenkarten?“, sagte sie ungeduldig und deutete auf das Meißener Porzellan.
Ich saß Dr. Kirtland gegenüber und hatte meine beiden Listen vor mir liegen. Zwischen uns sandten Schokorosinen unsichtbare Ströme zuckriger Luft aus der Holzschüssel empor. Das Aroma war mir aber zu süß. Ich hatte Dr. Kirtland gerade von meinem Wochenende mit Brad erzählt und ihm berichtet, was mir klar geworden war, während ich beim Verpacken des alten Geschirrs mit meiner Mutter gestritten hatte. Dr. Kirtland saß einfach schweigend da und hörte zu.
Ich hatte seit meiner Rückkehr aus New Hampshire keiner meiner Listen noch etwas hinzugefügt.
Dr. Kirtland deutete auf Brads Liste. „Also sind das bei ihm vor dem Hintergrund dessen, was Sie jetzt wissen – nicht nur über sich selbst, sondern auch über ihn –, immer noch die Dinge, die Sie an ihm schätzen?“
Ich sah mir die Eigenschaften an, die ich ja schon notiert hatte, bevor ich erfahren hatte, dass Brad aus New York geflüchtet war, um von einer anderen Frau wegzukommen.
liebenswürdig
klug
guter Vater
gewissenhaft
stark
rücksichtsvoll
Ich verfolgte das Wort „liebenswürdig“ ganz oben auf der Liste mit den Augen. Und dann das Wort „stark“.
„Ich will ihn nicht aufgeben. Uns nicht aufgeben. Selbst jetzt nicht. Ich weiß, dass er nicht perfekt ist. Ich weiß, dass ich nicht perfekt bin. Und vielleicht haben wir auch nicht aus den richtigen Gründen geheiratet, aber ich glaube, es ist möglich, aus den richtigen Gründen verheiratet zu bleiben. Das
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