Neun Tage Koenigin
der Art fensterlosem Lagerviertel, in das man nach Einbruch der Dunkelheit besser keinen Fuß mehr setzte. Wie viele andere solcher Lagerviertel wurde Fulton Landing irgendwann Ende der Siebzigerjahre liebevoll von Kreativen adoptiert. Jetzt waren dort Kunstgalerien, Lofts, Restaurants und eine Schokoladenfabrik beheimatet. Aus etwas in Vergessenheit Geratenem war etwas besonders Schönes gestaltet worden. Als wir uns der Dumbo-Gegend näherten, dachte ich an die Uhr, die jetzt im Laden die Zeit maß und im Sekundentakt ihr neues Leben feierte.
Wilson hatte recht. Es war immer noch dieselbe Uhr. Die Vergangenheit war nicht ausgelöscht, nur weil sie eine neue Zukunft bekommen hatte. Wenn das jemand hätte begreifen müssen, dann doch eigentlich eine Antiquitätenhändlerin wie ich. Über mich selbst verärgert, schüttelte ich den Kopf. Die Frau, die mir gegenübersaß, zog eine Augenbraue hoch und wandte dann den Blick ab.
An der Haltestelle New York Street stieg ich aus und ging fünf Minuten zu Fuß zum Gebäudekomplex Gold Street, wo meine Mutter auf mein Klingeln hin den Summer betätigte und sagte, ich solle in die vierte Etage hinaufkommen. Sie wartete am Aufzug, als sich dessen Türen fast geräuschlos öffneten.
„Du hättest die Untertasse wirklich nicht extra herzubringen brauchen, Jane. Aber ich bin trotzdem froh, dass du es getan hast, denn der Tisch sieht ohne sie irgendwie seltsam aus.“ Sie nahm mir die Untertasse ab, und ich folgte ihr in die spartanisch möblierte Eigentumswohnung.
„Eigentlich wollte ich mich entschuldigen, Mama.“
Die Wohnung war ganz in Weiß gehalten. Alle Flächen – Fußböden, Wände, Decken, Lichtschalter und Vorhänge – waren strahlend weiß. Blau war nur die Akzentfarbe. Die Brokatkissen auf dem weißen Ledersofa waren blau, genau wie die Kissen auf den Stühlen am Esstisch und der Teppich darunter. Und natürlich war auch das Meißener Porzellan blau. Es war eine eigenwillige Mischung aus klassisch und modern.
Meine Mutter stellte die Untertasse auf den Tisch und stellte die dazugehörige Kaffeetasse darauf.
„Ich weiß wirklich nicht, warum du mir gegenüber so aufgebracht warst, Jane. Du als Mutter müsstest doch eigentlich genau wissen, was ich damit meine, wenn ich sage, dass ich mir wünsche, dass meine Kinder glücklich sind.“
„Das tue ich auch. Ich weiß sehr wohl, wie es ist, sich zu wünschen, dass das eigene Kind glücklich ist.“
„Na also.“ Sie zupfte an einem Strauß seidener Ritterspornblüten in einer Porzellanvase herum, die in der Mitte des Tisches stand.
„Ich wollte eigentlich nur sagen, dass mir endlich langsam klar wird, dass ich es in der Hand habe, ob ich mit den Entscheidungen, die ich getroffen habe, glücklich bin. Und mir wird bewusst, dass ich es bin, die gewählt und entschieden hat. Es liegt immer bei mir.“
Die Stirn meiner Mutter war in halbherziger Verwirrung leicht gerunzelt. „Was um alles in der Welt redest du denn da?“ Sie zupfte erneut an dem Rittersporn herum, diesmal mit ein bisschen mehr Nachdruck.
„Ich habe immer gedacht, du und Papa hättet mich dazu gedrängt, Brad zu heiraten. So als hätte ich gar keine andere Wahl gehabt.“ Ich fingerte an Janes Ring herum, den ich weiterhin trug. „Aber ich habe eine Wahl gehabt. Ich hätte auch Nein sagen können, als er mir den Antrag gemacht hat.“
„Was ein Fehler gewesen wäre. Trotz seiner Fehler ist er dir immer ein guter Mann gewesen und Connor ein guter Vater.“
Brad war also in ihren Augen nur um ein paar Punkte gefallen. „Und was wäre, wenn ich dir sagen würde, dass Brad nicht weiß, ob er mich noch liebt?“
Sie ließ die Seidenblumen los und starrte sie einfach nur an. „Liebe ist nichts, das man weiß oder nicht weiß, sondern etwas, wofür man sich entscheidet. Wenn es ihn nicht glücklich macht, mit dir verheiratet zu sein, dann musst du herausfinden, warum das so ist.“
„Er hat mir gesagt, dass er nicht weiß, was uns außer Connor eigentlich noch zusammenhält. Das hat er mir gesagt!“
„Na also. Da haben wir dann doch euer Problem.“ Sie zuckte mit den Achseln und ging an mir vorbei ins Wohnzimmer. „Ein Kind kittet keine Ehe.“
„Eine Ehe kitten?“
Sie drehte sich zu mir um und sah mich an. „Ja. Wenn ihr beide wirklich glaubt, dass das, was euch zusammenhält, ein Kind ist oder auch ein Gefühl, dann ist es kein Wunder, dass ihr ins Straucheln kommt. Was ein Paar zusammenhält, ist Entschlossenheit.“
Doch
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