Neun Tage Koenigin
immer beschäftigt. Mir kam es so vor, als ob der neue Glaube sie ganz und gar erfasst und durchtränkt hatte und dass ihre Trauer über den Tod des Lord Admirals davon völlig abgetrennt war. Bei einem meiner Besuche zu Hause erzählte mir mein Vater, dass der Marquis und Dutzende andere Adlige sich der neuen Religion, dem protestantischen Glauben, zugewandt hätten, weil ihnen das Vorteile am Hof König Heinrichs verschafft hätte. Er und meine Mutter hatten den neuen Glauben angenommen, als ich noch ein Kind gewesen war. Ursprünglich aus denselben Gründen. Aber für Lady Jane hatte politisches Kalkül nichts zu tun mit ihrer eigenen Ergebenheit für die Kirche Christi, die keinen Papst hatte. Sie war von der neuen Lehre wirklich überzeugt und glaubte daran.
Jane bezweifelte nicht im Geringsten, dass das Haus der Seymours ebenfalls protestantisch war und mit Rom nichts zu tun haben wollte.
In den Monaten vor der Hinrichtung des Admirals, als der junge Edward Seymour bei öffentlichen Anlässen meist zugegen war, vertraute mir Jane hinterher an, dass sie nichts gegen die Bewunderung tun könne, die sie für ihn empfände, trotz der Rolle, die sein Vater beim Tod des Admirals gespielt hätte.
Obwohl sie die Gesellschaft des jungen Edward mied, sorgten ihre Eltern dafür, dass sie oft an denselben Anlässen teilnahm wie er. Und das, obwohl der Lordprotektor nach Unstimmigkeiten zwischen ihm und John Dudley, dem Earl of Warwick, von seinem Posten entfernt worden war. Jane hatte Gesprächen zwischen ihren Eltern entnommen, dass John Dudley eine gewichtige Stimme im Kronrat hatte und dass er offenbar ein Auge auf die beneidenswerte Position Seymours als Protektor, als Vertreter und Beschützer der Interessen des jungen Königs, geworfen hatte.
Offenbar wünschte Jane sich von mir die Bestätigung, dass ihre Bewunderung für den jungen Edward Seymour keine Sünde sei. Ich sagte ihr, man könne ja nichts dafür, wenn sich das eigene Herz zu jemandem hingezogen fühle. Mit reiner Willenskraft unsere Herzensneigungen umleiten zu wollen sei, als würde man versuchen, die Richtung des Ostwindes zu ändern, indem man mit den Armen in Richtung Westen zeige.
An diesem Abend – nachdem sie vom König empfangen worden war und ich nun ihr Kleid wieder in der Garderobe verstaute – hörte ich, wie Lady Jane Mrs Ellen entließ, weil sie sich auf ihr Zimmer zurückziehen wolle. Es sei ein anstrengender Tag gewesen. Ich hatte noch eine Weile in der Garderobe zu tun und wollte mich dann bald in den angrenzenden Bedienstetenunterkünften in mein Bett begeben, als ich hörte, wie sich auf der anderen Seite der Tür etwas regte.
Jane öffnete die Tür zur Garderobe und fragte, ob ich ihr ein anderes Nachthemd bringen könne. Das, welches sie gerade trüge, kratze. Mit einem weicheren Nachthemd auf dem Arm, das im Grunde genauso war wie das, welches sie trug, folgte ich ihr zurück in ihr Zimmer und half ihr beim Umziehen.
„Ich habe ihn heute gesehen“, sagte sie, ohne mich dabei anzusehen.
„Ich weiß.“
Sie drehte sich mit einem Ruck zu mir um. „Von wem hast du es erfahren?“
„Von niemandem, Mylady. Ich habe mit niemandem darüber gesprochen, und es hat auch niemand mit mir darüber gesprochen. Ich erkenne es an Eurem Blick. Das ist alles. Und ich wage zu behaupten, Mylady, dass es sonst niemand sehen kann. Nicht einmal Mrs Ellen. Und Ihr könnt versichert sein, dass ich niemandem etwas davon sage.“
Jane entspannte sich wieder und reichte mir die Haarbürste. Sie saß auf dem Sofa, und ich begann, die weichen Borsten durch ihr langes, braunes Haar zu ziehen.
„Ich habe gesehen, wie er mich quer durch den Bankettsaal angesehen hat. Ich saß am Tisch des Königs, und während des gesamten Essens hat Edward Seymour mich angesehen. Ich habe wirklich versucht, meine Aufmerksamkeit ganz dem König zu widmen und mich um ihn und seine Bedürfnisse zu kümmern, aber ich habe immer wieder zum anderen Ende des Raumes zu Edward geschaut.“
„Hat Edward Seymour … wütend ausgesehen, Mylady?“
„Nein. Ich würde sagen, er sah eher … gereizt aus.“
„Konntet Ihr mit ihm sprechen?“ Meine Bürstenstriche waren lang und behutsam.
„Beim Tanz gab es einen Moment, in dem ich ihn angesprochen habe.“
Ich beugte mich über sie und lächelte. „Er hat Euch zum Tanz aufgefordert?“
Sie lächelte zurück. „Ja, das hat er. Nur zu dem einen Tanz.“
Ich wartete darauf, dass sie noch mehr erzählte, denn ich
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