Neun Tage Koenigin
verlassen, als der Kammerdiener sich räusperte. „Der Herzog und die Herzogin haben keinen alten Mann für Lady Jane ausgesucht“, sagte er.
Alle Blicke, auch meiner, richteten sich auf ihn.
„Erzähl schon!“, sagte die erste Kammerzofe.
„Sie haben einen Boten mit einer Depesche zum Herzog von Somerset entsandt.“
Mein Löffel bebte ein wenig in meiner Hand. Somerset, das war doch Edward Seymour der Ältere, der ehemalige Lordprotektor, der Vater des jungen Edward Seymour.
„Somerset?“, fragte der Page. „Aber der ist doch verheiratet!“
„Aber er hat ’nen Sohn, du Depp!“, rief die zweite Kammerzofe.
„Genau, den jungen Edward Seymour“, fuhr der Kammerdiener fort.
Da hielt ich es nicht mehr länger aus und machte den Mund auf.
„Was für eine Depesche haben sie denn versandt?“, wollte ich wissen.
Alle Köpfe drehten sich in meine Richtung.
„Ja, weißt du das denn nicht, Lucy?“, antwortete der Kammerdiener, der von meiner Unwissenheit offenbar wirklich überrascht war.
„Was für eine Nachricht?“, wiederholte ich meine Frage noch einmal, ohne auch nur einen Hauch von Interesse zu zeigen, das über leise Neugier hinausging.
„Der Herzog hat Somerset gebeten, unverzüglich nach Bradgate zu kommen, um über einen Ehevertrag zwischen Lady Jane und seinem Sohn zu verhandeln.“ Der Kammerdiener sah mich an.
„Aber Somerset ist doch gar nicht mehr der Protektor des Königs“, wandte eine der älteren Haushälterinnen ein. „Der ist doch verdrängt worden von diesem … wie hieß der noch gleich?“
„John Dudley“, sagte eine andere.
„Ja, genau, Dudley. Das überrascht mich doch, dass der Herzog eine Verlobung zwischen Somersets Sohn und seiner ältesten Tochter in Betracht zieht. Überlegt doch mal! Es ist noch gar nicht lange her, da hat Somerset noch im Tower gesessen.“
„Aber jetzt ist er wieder frei“, entgegnete der Kammerdiener etwas hoheitsvoll. „Am Hof kann sich doch das Schicksal eines Menschen vom einen auf den anderen Augenblick wenden.“
„Ja, aber er hat nun mal im Tower gesessen. Wenn du der Herzog wärst, würdest du dann deine Tochter, die an – wievielter? –, an vierter Stelle der Thronfolge von England steht, mit dem Sohn eines Mannes verheiraten, der abgesetzt und ins Gefängnis geworfen wurde? Ich kann darin keinen Sinn erkennen.“
„Das Glück kann sich von jetzt auf gleich wenden“, beharrte der Kammerdiener. „Du verbringst zu viel Zeit damit, auf dem Landsitz des Herzogs die Kissen aufzuschütteln. Ich habe selbst gesehen, wie sich Schicksale am Hof wenden können. Im einen Augenblick bist du noch in Ungnade gefallen und im nächsten wirst du bejubelt.“
„Ja, und mit einem Wimpernschlag kann auch genau das Gegenteil passieren!“, sagte die Haushälterin. „Im einen Moment hochgejubelt, im nächsten auf Knien vor dem Scharfrichter.“
„Denkt, was ihr wollt, auf jeden Fall wurde die Depesche losgeschickt.“ Dann wandte sich der Kammerdiener mir zu. „Und es wird damit gerechnet, dass Somerset in Begleitung des jungen Edward unverzüglich nach Bradgate kommt.“
Er schaute mich weiter unverwandt an, so als wollte er mich auffordern, etwas zu seinem Wortwechsel mit der Haushälterin zu sagen. Alle Blicke waren auf mich gerichtet, während alle Anwesenden gespannt warteten, was ich über die Verbindung zwischen einem jungen Mädchen, dessen Gestalt mir so vertraut war wie meine eigene, und dem Sohn eines in Ungnade gefallenen Anführers sagen würde. Ich war mehr mit Jane zusammen und verbrachte mehr Zeit mit ihr als all die anderen zusammen.
„Es wäre klug, wenn wir alles gut vorbereiten würden, um Somerset und seine Familie mit der Ehrerbietung und Achtung willkommen zu heißen, die der Herzog von uns erwartet“, sagte ich. Dann stand ich auf und verließ den Raum.
Im Weggehen hörte ich leises Gelächter, dann, wie jemand meine Worte nachäffte und sie mir spottend hinterherrief, worauf dann wieder Gelächter folgte. Ich drehte mich jedoch nicht noch einmal um.
Am liebsten wäre ich sofort mit der Neuigkeit zu Jane gelaufen, dass Edward nach Bradgate kommen würde, weil ihr Vater vorhatte, sie mit ihm zu verloben. Aber ich konnte mich nicht auf reines Hörensagen verlassen. Ich konnte nicht zweifelsfrei wissen, ob das, was der Kammerdiener gesagt hatte, auch wirklich stimmte – dass ein Brief auf den Weg gebracht worden war und er den Inhalt dieses Briefes kannte. Und ich konnte auch nicht einfach
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