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Neun Tage Koenigin

Neun Tage Koenigin

Titel: Neun Tage Koenigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Meissner
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zurück und wollte nur noch rasch einen Knicks machen, um dann zu flüchten.
    „Wartet! Bitte!“, sagte er schnell und berührte mich erneut am Ellbogen. „Seid Ihr auch zu Gast hier?“
    „Wie meinen?“, flüsterte ich, schaute auf seine Hand, die er daraufhin sofort wieder wegnahm.
    „Seid Ihr auch zu Gast hier in Bradgate?“
    Ich erstarrte vor Verlegenheit und Beschämung. Eine solche Frage konnte nur ein Gast stellen. „Nein“, sagte ich schnell, knickste dann und wandte mich zum Gehen.
    „Mein Name ist Nicholas Staverton“, fügte er rasch hinzu und trat vor mich. „Ich bin hier als Gast von John Aylmer, dem Hauslehrer.“
    „Willkommen in Bradgate, Sir“, entgegnete ich höflich und versuchte erneut, mich zu entfernen.
    Aber er stand vor mir, während der Mond weiter am Himmel aufstieg, und seine Miene drückte Sorge aus. „Habt Ihr Kummer?“
    Auf eine solche Frage konnte ich keine passende Antwort geben, also stand ich einfach nur da und starrte ihn an. Ich war erstaunt über dermaßen seltsame und persönliche Fragen.
    Er deutete mit seinem Finger auf meine Wange. „Ihr … Ihr habt geweint.“
    Instinktiv strich ich mir mit der Hand über die Wange. Nur Augenblicke zuvor hatte ich aufgehört zu singen, weil mich beim Gedanken an meine Eltern die Gefühle übermannt hatten und mir die Tränen gekommen und die Wangen hinuntergelaufen waren. Und da waren sie nun immer noch und glänzten zweifellos in dem schimmernden Mondlicht.
    „Mir geht es ganz gut. Danke der Nachfrage“, flüsterte ich und wollte nur weg von ihm, blieb aber dennoch wie angewurzelt stehen.
    „Ihr seid also kein Gast?“, fragte er noch einmal.
    „Ich bin die Schneiderin von Lady Jane, der Tochter des Herzogs von Suffolk.“
    Jetzt strahlte er mich an. „Dann seid Ihr Lucy! Lady Jane hat mir schon viel von Euch erzählt!“
    Wieder fing ich an zu wanken, aber dieses Mal gelang es mir, auch ohne Nicholas’ Hilfe mein Gleichgewicht wiederzuerlangen. „Was sagt Ihr da?“
    „Ich war heute zugegen, als Mr Aylmer Lady Jane und Lady Katherine Unterricht gab. Ich bin Student in Oxford und zurzeit bei Mr Aylmer zu Gast. Lady Jane hat von Euch gesprochen.“
    „Sie … sie hat von mir gesprochen?“ Meine Stimme klang sogar in meinen eigenen Ohren dünn und mäuschenhaft.
    Er lachte. „Aber nicht doch! Kein Grund zur Sorge. Lady Jane hat nur gut von Euch gesprochen. Sie hat gesagt, Ihr wäret eine der wenigen im ganzen Haus, die sich ihre Gedanken über die Schriften der Reformatoren anhören würde, natürlich abgesehen von Mr Aylmer. Sie hält Euch für sehr gescheit.“
    „Ich … das ist natürlich sehr freundlich von ihr.“
    Wir standen beide schweigend da, schauten einander an,
und ich war völlig verwirrt. Er dagegen sah heiter und gelassen aus und hatte es allem Anschein nach nicht eilig, unseren Wortwechsel zu beenden. Mein Herz begann heftig zu pochen.
    „Dieses Lied, das Ihr da gesungen habt, kennt Ihr den ganzen Text?“, fragte er schließlich.
    „Ich … ja, ich kenne den Text.“
    „Ich habe es schon so lange nicht mehr gehört. Vielleicht könntet Ihr mir ja den Text diktieren, bevor ich wieder nach Oxford abreise. Ich würde die Worte gerne aufschreiben. Meine Großmutter ist gestorben, als ich noch ganz klein war. Ich vermisse sie sehr, und das Lied erinnert mich an sie. Also … könnte ich Euch vielleicht wiedersehen?“
    Mein Herzklopfen wurde noch heftiger.
    „Vielleicht“, erwiderte ich.
    Mr Staverton lächelte. „Würdet Ihr mir die Worte vielleicht auch aufsagen?“
    „Ja“, antwortete ich und merkte, wie ich auch selbst nicht aufhören konnte zu lächeln. Um uns herum wurde es jetzt dunkel. Schnell machte ich einen Knicks. „Gute Nacht, Mr Staverton.“
    Über die Treppe, auf der ich zum Teich gelangt war, eilte ich jetzt wieder davon.
    „Dann sehe ich Euch also morgen, Miss Lucy …?“
    „Day!“, rief ich noch, ohne jedoch stehen zu bleiben.
    „Day?“
    Ich drehte mich noch einmal um. „Mein Name ist Miss Day. Lucy Day.“
    Und ich ging weiter die Steintreppe hinauf, aber jetzt hatte mein Herzklopfen einen anderen Rhythmus.
    Als ich oben angelangt war, drehte ich mich um, um ihn noch einmal anzusehen. Er stand immer noch am Teich und blickte mir nach.
    An diesem Abend dauerte es Stunden, bis ich endlich einschlafen konnte.

Achtzehn
    Am Tag nach meiner Begegnung mit Nicholas Staverton am Teich wurde Jane in den Empfangssalon ihrer Eltern zitiert. Da ich mir dachte, dass sie über

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