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Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)

Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)

Titel: Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meira Pentermann
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Ihnen einen Netzhaut–Scan durchführen.“ Sie zeigte auf ein stationäres Gerät in einer Kabine einige Meter entfernt.
    Obwohl ihn die bewaffneten Wächter unglaublich nervös machten, versuchte Leonard sie zu ignorieren, stieg aus dem Wagen und ging auf die Kabine zu.
    „Und meine Nichte?“, fragte er lässig.
    Die Wächterin sah auf Natalias grüne Reiseerlaubnis. „Nicht nötig.“
    Leonard führte den Netzhaut–Scan durch und wendete sich der Wächterin zu. Sie sah auf einen an der Kabine angebrachten Computer. Einige Sekunden später nickte sie.
    „Kann ich sonst noch was für Sie tun?“, fragte Leonard in einem coolen, spöttischen Tonfall.
    „Wo gehen Sie heute Abend hin, Dr. Cook?“
    „Wo ich hingehe?“ Er setzte einen drohend finsteren Gesichtsausdruck auf. „Was glauben Sie denn, wo ich hingehe?“
    „Was ist der Grund für Ihren Besuch in der Klinik?“
    „Das geht Sie nichts an.“
    „Es tut mir leid, Sir. Ich muss Sie das fragen.“
    Erfreut darüber, dass sein arrogantes Verhalten scheinbar widerwillig ihren Respekt gewonnen hatte, antwortete Leonard selbstsicher. „Ich besuche einen Patienten.“
    Die Wächterin tippte einen Vermerk in den Computer. „Und das Mädchen?“
    „Sie besucht eine Freundin.“ Weil er ungern irgendeinen nicht vorhandenen Verwandten erwähnen wollte, drang diese Idee in sein Unterbewusstsein ein und er sprach sie aus, bevor er Gelegenheit hatte, darüber nachzudenken. Im Nachhinein schien der Gedanke, dass ein dreizehnjähriges Mädchen eine Freundin in der Klinik habe, eher dumm, aber er hatte die Worte schon ausgesprochen und er konnte sie nicht wieder zurücknehmen.
    Die Wächterin runzelte die Stirn, aber zu Leonards Überraschung verkörperte dieser Ausdruck tiefes Mitleid. Sie sah zu Natalia hinüber und schüttelte traurig den Kopf. „Sie dürfen weiterfahren“, sagte sie wieder mit ruhiger, fester Stimme, und richtete ihren Kopf mit Würde auf.
    Leonard drehte sich um und wollte gehen.
    „Warten Sie“, rief sie.
    Leonard machte eine Kehrtwendung und sein Herz raste.
    „Sie wissen, wie viel Uhr es ist, Sir?“
    „Sehe ich etwa aus wie ein Idiot?“
    „Sie werden nach Sonnenuntergang nicht wieder zurückfahren dürfen.“
    „Das ist uns klar. Wir werden über Nacht bleiben.“ Leonard betete, dass so eine Erklärung annehmbar war.
    Die Wächterin nickte leicht und hielt ihren Blick währenddessen auf Natalia gerichtet. „In Ordnung.“ Sie ging zurück an ihren Posten und gab ein Zeichen, das Tor zu entriegeln und zu öffnen.
    Als sie durch das Tor hindurchgefahren waren, sah Leonard in seinen Rückspiegel. Die Wächter interessierten sich nicht mehr für den Toyota sowie dessen Insassen und schlossen und verriegelten die riesige Festung schleunigst wieder.
    ***
    Nach sechzehn Kilometern sah Leonard eine Straßensperre, die sie dazu zwang, von der I–70 herunterzufahren und den Highway 40 zu nehmen. Noch mehr auf dem Dach liegende Autos und mehrere Haufen an Bauschutt machten den Weg unbefahrbar. Als Leonard die Ausfahrt nahm, sah er nach links. Hinter der Absperrung sah die I–70 wesentlich anders aus. Die Straße verfiel bereits wie der Weg in eine Geisterstadt.
    „Unglaublich“, flüsterte er.
    „Hä?“
    Da er seine Tochter nicht mit der Verzweiflung belasten wollte, die ihn beim Anblick der einst stark befahrenen und nun in Trümmern liegenden Autobahnstrecke überkam, murmelte er einfach nur: „Nichts.“
    Fahrzeuge oder Felsbrocken versperrten alle Ausfahrten oder Kreuzungen entlang des Highway 40, also fuhr Leonard pflichtbewusst weiter und fragte sich, wie weit sie wohl reisen müssten, um zur Klinik zu gelangen. Angesichts der Tatsache, dass das Gebiet ziemlich verlassen schien, wäre es wohl nicht unangemessen, bald Alinas versteckte Benzinvorräte zum Einsatz zu bringen.
    Während er gerade grobe Berechnungen in seinem Kopf anstellte, kamen sie um eine Kurve und er erhaschte einen ersten Blick auf die Klinik in einer Stadt, die früher als Empire, Colorado bekannt war. Große, von Maschendrahtzäunen umgebene Gebäude sprenkelten die Gegend. Wachtürme auf den umliegenden Hügeln ließen vermuten, dass sich die Anlage über die Stadt hinaus erstreckte und sich ihren Weg scheinbar auch durch die tiefen Täler im Westen und Süden und den Berg hinauf im Norden schlängelte.
    In einer Aushöhlung an der Bergseite wimmelte es nur so von Zehntausenden von kleinen orangenen Punkten – einige schienen nach oben zu klettern,

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