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Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)

Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)

Titel: Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meira Pentermann
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andere hinabzutreiben. Dies rief eine optische Täuschung hervor und machte es beinahe unmöglich, die genaue Entfernung oder Größe des Kraters zu bestimmen. Was genau waren diese Punkte? Wenn es irgendeine Art von Käfer war, musste der Krater ziemlich nahe sein, obwohl er kilometerweit entfernt zu sein schien.
    Entlang der Straße kamen sie an Dutzenden von befestigten Gefängnissen vorbei, eins nach dem anderen abgeriegelt durch Maschendrahtzäune und Stacheldraht. Nur eine Handvoll Gebäude hatten keinen Zaun und waren nahe der Autobahn zugänglich, vermutlich handelte es sich um Verwaltungsbüros. Leonard entschied sich, nicht anzuhalten, wenn er nicht dazu aufgefordert wurde, und fuhr einfach weiter, als ob es völlig normal für ihn wäre und er wüsste, wo er hinwollte.
    Er zuckte plötzlich zusammen, als er hinter einem der eingezäunten Grundstücke mehrere Männer in orangefarbenen Overalls bemerkte. Sein Gehirn stellte sofort eine Verbindung her. Die Zehntausenden orangenen Punkte, die er in der Aushöhlung gesehen hatte, waren Gefangene, die in einer Mine arbeiteten. Leonard versuchte zu schlucken, aber sein Hals war trocken.
    Um die Kurve herum entdeckte er noch eine weitere Gruppe Gefangener, die aneinander gekettet waren und den Seitenstreifen entlangschlurften. Bewaffnete Wächter liefen schweigend und beinahe gelangweilt auf beiden Seiten neben ihnen her. Die finsteren Individuen, denn es war schwer, das Geschlecht der Gefangenen auszumachen, schienen körperlich angeschlagen und geistig gebrochen. Leonard sah weg, um zu vermeiden, dass sich das Bild der Gefangenen in sein Gedächtnis einbrennen würde.
    Natalia hielt sich den Mund zu und fing an zu weinen. Leonard sah zu seiner verängstigten Tochter rüber. Tränen liefen ihr über das Gesicht, während sie den bitteren Anblick verdaute.
    „Es gibt nichts, was wir dagegen tun können, Nat“, sagte Leonard leise.
    Sie schniefte und rieb sich die Augen. „Können wir ihnen nicht helfen, zu entkommen?“
    „Wir können glücklich sein, wenn wir beide es überhaupt hier rausschaffen.“ In dem Moment, als die Worte seinen Mund verlassen hatten, stauchte er sich selbst zusammen. Das ist sehr tröstlich, Leonard.
    Natalia stieß einen gedämpften Schluchzer aus.
    Unsicher, was er als Nächstes sagen sollte, stammelte er: „Aber du und ich… wir haben einen fantastischen Plan… eine Menge Vorräte und den Willen zu überleben.“
    Sie drehte sich weg.
    „Wir schaffen das.“
    Keine Antwort.
    Sie fuhren weiter. Immer weniger Gefängnisgebäude säumten die Straße, bis nur noch Bäume, Hügel und ein spitz zulaufender Berg in der Ferne zu sehen waren. Gelegentlich sauste ein Schwung verlassener Gebäude an ihnen vorbei. Ansonsten gab es keine Anzeichen von Zivilisation.
    Niemand schien sie zu verfolgen. Leonard atmete erleichtert auf, obwohl der Skeptiker in ihm sich fragte, ob es nicht zu einfach gewesen war.
    Zehn Minuten später, direkt nachdem sie in der Nähe von Berthoud Falls an einer Reihe von verlassenen Häusern vorbeigefahren waren, näherten sie sich einer riesigen Spitzkehre. Leonard wurde langsamer.
    „Verdammt“, schrie er.
    Natalia setzte sich auf.
    Vor ihnen versperrte ihnen eine riesige Barrikade aus Sattelschleppern und Felsbrocken den Weg. Leonard brachte den Wagen mit quietschenden Reifen zum Stehen und schlug wiederholt mit den Händen auf den Lenkradkranz ein.
    „Verdammt, verdammt, verdammt.“
    Natalia sagte nichts, ihr weit geöffneter Mund war nicht in der Lage, Wörter zu formen.
    Leonard fuhr sofort etwa sechzig Meter zurück und schwenkte nach links in die einzige Ausfahrt, Henderson Mine Road. Aber nach knapp hundert Metern standen sie erneut vor einer Absperrung, diesmal bestand sie aus Schotter und Bäumen. Sie saßen fest. Kein Fahrzeug, noch nicht einmal ein Jeep, könnte sich einen Weg durch eine der Blockaden bahnen.
    Nach einigen Minuten Schweigen drehte Leonard mit dem Wagen um und fuhr zurück zu den verlassenen Gebäuden von Berthoud Falls. Er versteckte den Wagen hinter einer heruntergekommenen freistehenden Garage.
    „Zeit, zu Fuß zu gehen“, sagte Leonard.
    „Das kann doch nicht dein Ernst sein.“
    „Deshalb hat deine Mutter vorausgeplant.“
    Leonard hebelte die Geheimfächer auf und wühlte durch die Vorräte. In den Rucksäcken befanden sich schon Müsliriegel, Wasseraufbereitungspakete, jeweils eine Wasserflasche und die Thermo–Kapuzenpullis. In dem größeren Rucksack waren außerdem

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