Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)
zu ihrem Hals entlang hinunter. Sie zuckte zusammen und sah weg. „Ich nehme an, ich könnte etwas zärtlicher zu ihr sein.“ Er drehte ihre Haare um seinen Finger.
Ein durchschnittlich gebauter Mann mittleren Alters mit finsterem Gesichtsausdruck näherte sich Natalia und dem unverschämten Soldaten.
Der dicke Mann fuhr fort: „Was meinst du, Sanders? Ich hab mir doch etwas Spaß verdient.“ Seine Hand glitt an Natalias Schulter zu ihrer Brust hinunter, aber der Mann mittleren Alters fasste den Perversen am Arm und stoppte ihn.
„Du bist so ein Arschloch, Bean.“
Bean lachte mit einem schmutzigen Grinsen auf den Lippen. „Neidisch? Möchtest du etwa auch?“
„Rein in den Van.“
Weder vorsichtig noch grob brachte Sanders Natalia zurück in ihr Abteil. Sein Gesichtsausdruck verriet keinerlei Emotionen, außer vielleicht leichte Verärgerung über das Verhalten seines Kollegen. Als Natalia in den Wagen kletterte, griff Sanders nach Leonards Arm und drückte so fest zu, dass er zusammenfuhr. „Und kein Wort mehr von dir.“
Leonard nickte und stieg in den Van.
Obwohl er für den Rest der Fahrt schwieg, durchlitt Leonard tausend Qualen. Innerhalb von fünfzehn Minuten beschimpfte er sich mindestens einhundert Mal, aber die Selbstdemütigung verschaffte seinem Gewissen wenig Erleichterung. Als das Adrenalin nachließ und ihm bewusst wurde, in welcher Situation sie sich befanden, löste sich Leonards Mut in Luft auf und die Leere in seinem Körper erstickte jeden Funken Hoffnung.
Es gibt keinen Ausweg.
Leonard und Natalias Leben würden in einem Schleier aus Zellen und Steinbrüchen dahinschwinden, mit fadem Haferbrei und trockenem Brot als einzige Nahrung… oder Schlimmerem. Er wollte seine Tochter vor dem widerwärtigen Zuchtprogramm der Jugendbrigade retten; stattdessen hatte er sie direkt zur nächsten Grausamkeit geführt. Natalia würde möglicherweise von so ekligen Scheusalen wie dem fetten Wächter, Bean, vergewaltigt werden. Im Nachhinein schien der nette Junge mit den mandelförmigen Augen nun wie ein Engel aus einem anderen Zeitalter. Mit ihm schlafen und neun Monate Schwangerschaft – der reinste Traum im Vergleich zu dem, was sie nun erwartete; schweißige, dicke Finger und andere schmutzige Gliedmaßen auf dem Boden einer kalten Gefängniszelle.
Er konnte Natalia kaum in die Augen sehen, als sie aus dem Van gezogen wurden und sich nun vor einem grauen, fensterlosen Gebäude befanden. Natalia sah kurz zu ihrem Vater rüber, ihr Blick leblos. Wächter kamen auf sie zu, rissen ihnen die Arme auf den Rücken und legten den beiden Gefangenen Handschellen an. Als Nächstes folgten Netzhaut–Scans und das tragbare Scan–Gerät wurde einer Frau mit strenger Miene gereicht, die den Vorgang beobachtete. Nachdem sie durch eine Tür gegangen waren, wurden Leonard und Natalia unterschiedliche Korridore hinuntergeführt.
„Nat“, rief Leonard, während sie von einer stämmigen Wächterin weggezerrt wurde. Seine eigene Eskorte versetzte ihm einen Schlag auf den Hinterkopf.
Als sie um eine Ecke kamen, erlaubte Leonard sich der anbahnenden Depression hinzugeben. Er wünschte, der Wächter würde ihm erneut einen Schlag auf den Kopf versetzen, damit ihn der Schmerz daran erinnerte, dass er noch am Leben war. Was soll das Ganze noch? Er ließ den Kopf hängen und stolperte den Gang entlang, während ihn der schweigende Mann, den er nicht sehen konnte, in regelmäßigen Abständen voranstieß.
Der Wächter schubste Leonard in einen kleinen Raum, nahm ihm die Handschellen ab und befahl ihm, sich auszuziehen.
„Ausziehen?“
„Ja, so nennt man das, wenn man seine Kleidung ablegt.“
„Wozu?“
„Damit ich dich begrapschen kann“, antwortete er flapsig. Als Leonard zurückzuckte, fügte der Mann hinzu: „Tu nicht so bescheuert. Du musst gründlich durchsucht werden und glücklicherweise ist das nicht mehr Teil meines Aufgabengebiets.“
Der Wächter machte die Tür beim Hinausgehen hinter sich zu und verriegelte sie. Leonard zog langsam seine Kleidung aus und versuchte sich nicht vorzustellen, dass Natalia irgendwo in der Einrichtung womöglich gezwungen wurde, das Gleiche zu tun.
Als er nackt war, bedeckte Leonard mit den Händen seine Genitalien und versuchte so kläglich, sich noch einen Rest Würde zu bewahren. Er betrachtete seine Umgebung. Mit nichts weiter als einem Stuhl in der Ecke, der eine Lehne aus Holzstreben besaß, hatte der Raum weniger Charme als eine Besenkammer. Ein
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