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Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)

Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)

Titel: Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meira Pentermann
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Freiheit in einem Umfang zu zerstören, wie es sich Leonard zuvor niemals hätte vorstellen können. Es war ein Albtraum… und Leonard war der Star darin.
    McGinnis trommelte mit den Fingern auf dem Tisch herum. „Wirst du mir das Geheimnis jetzt verraten, oder hältst du endlich deine Klappe und hörst auf, mich damit zu nerven?“
    Leonard lehnte sich nach vorne und flüsterte: „Die Stasi war ein Geheimdienst in Ostdeutschland während des Kalten Krieges.“
    McGinnis starrte ihn lediglich mit unbeteiligtem Gesichtsausdruck an.
    „Sie spionierten Menschen nach, hörten private Unterhaltungen ab und überwachten die Leute sogar in ihren eigenen vier Wänden. Die Stasi ermutigte Nachbarn und Familienmitglieder, sich gegenseitig zu denunzieren, und sie verhörten, quälten und exekutierten Menschen. Eine sehr effektive, bösartige Instanz.“
    McGinnis zuckte verwirrt mit den Schultern. „Was war denn in Ostdeutschland los? Wovon redest du überhaupt?“
    Leonard neigte seinen Kopf zur Seite. „Na das Ostdeutschland, eine Besatzungszone der Sowjetunion, bevor diese in sich zusammenfiel.“
    McGinnis lehnte sich so weit nach vorne, dass er Leonards Ohr fast mit seinen Lippen berührte. „Ich bin mir nicht sicher, ob du nur einen auf Klugscheißer machen willst oder mich verarschst.“ Der gehässige Ton in seiner Stimme bohrte sich durch Leonards Gehirn. „Und das ist alles, was ich zu diesem Thema sagen werde.“
    Er drehte seinen Kopf und rief der Frau an der Essensausgabe scherzend zu: „Das Mittagessen war heute besonders fade. Danke, Amanda.“ Er zwinkerte ihr zu.
    „Schnauze“, fauchte sie zurück.
    McGinnis stand auf. Er warf Leonard einen kühlen Blick zu. „Kommst du?“
    Verwirrt sprang Leonard auf und folgte der Einladung. „Ja, ja.“ Mit leiser Stimme fügte er hinzu: „Das von eben tut mir leid, ich—“
    „Noch einen schönen Tag, Amanda“, rief McGinnis. Seinem Kollegen flüsterte er zu: „Halt verdammt noch mal die Klappe, sonst ramm ich dir meine Faust ins Gesicht.“
    Leonard nickte gehorsam und folgte McGinnis zum Ausgang.
    Als sie durch die Korridore liefen, kamen sie an einer Tür mit einem komplizierten Sicherheitssystem vorbei; es ähnelte jenem, an dem sich Leonard am Morgen vorbeigeschummelt hatte. Der einzige Unterschied war, dass man hier zusätzlich noch seinen Ausweis durch ein Lesegerät ziehen musste. Kartenlesegerät, Netzhaut–Scan, Passwort und Metalldetektor. Hinter der Schranke gab es neben einer Tür dann erneut ein Kartenlesegerät. Leonard versuchte, ein Lachen zu unterdrücken. Er hätte McGinnis beinahe gefragt, wohin dieser Bereich führte, aber er biss sich auf die Lippe. Der boshafte Rotschopf war ohnehin schon sauer und dazu noch misstrauisch. Es war einfach nicht der richtige Zeitpunkt. Leonard beschloss, wieder zu seinem Arbeitsplatz zurückzukehren. Er sah sich um und versuchte, sich zu orientieren.
    Dritter Stock. In der nordwestlichen Ecke.
    Als sie sich wieder auf der Plattform befanden, lief es Leonard eiskalt den Rücken hinunter. Die Stasi–Satelliten schienen auf einmal unheilvoll. Er hatte ein seltsames Déja–vu–Erlebnis. Es war, als ob er sich wieder an das Entwerfen des Stasi–Prototypen und an all die widersprüchlichen Emotionen, die er dabei gehabt haben musste, erinnern konnte. Es war zweifellos eine Herausforderung gewesen und er liebte Herausforderungen; aber es war auch eine Monstrosität, deren Ausmaße seinen Mut sinken ließ. Plötzlich wurde ihm klar, dass er das Projekt Stasi genannt hatte, weil es seine Aufgaben am besten beschrieb. Der Name war eine sarkastische Geste gewesen. In einem kurzen Moment der Klarheit verstand er jetzt, warum er den Arbeitsplatz gewählt hatte, der sich am weitesten entfernt von dem Geschwader befand. Die Satelliten widerten ihn an.
    Ich war kein Monster in dieser Welt und ich war auch kein rücksichtsloses Arschloch. Ich war nur eine gebrochene Seele.
    Leonard starrte das Satellitenfeld einige Minuten lang an. Er bemerkte nicht, dass McGinnis schon an seinen Schreibtisch zurückgekehrt war. Als Leonard auffiel, dass er gaffte und dass ihm andere ABV–Mitarbeiter missbilligende Blicke zuwarfen, ging er schleunigst an seinen Arbeitsplatz.
    Sobald er saß, rüttelte er an seiner Maus. Im Feld für den Benutzernamen stand immer noch tramerlm . Leonard klickte in das Passwort–Feld und tippte ein paarmal mit dem Finger auf den Tisch. Was würde der Alternative–Realität–Leonard als Passwort

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