Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)
Commander zufriedenstellen würde.
„Ja, ja. Ich nehme an, das stimmt.“
„Das deprimiert sie.“
Carlyle nickte einsichtig. „Ich verstehe.“
„Danke.“
„Aber du benachrichtigst mich, wenn du irgendetwas… irgendetwas Seltsames bemerken solltest?“
Leonard neigte seinen Kopf zur Seite und runzelte die Stirn. „Bitten Sie mich etwa darum, meine Frau auszuspionieren, Commander?“
Die plötzliche Förmlichkeit überraschte Carlyle.
„Denn wenn das der Fall ist“, spielte Leonard mit, „Sie hat eine blütenreine Weste, und ehrlich gesagt, wünsche ich mir oft sogar, es wäre nicht so. Manchmal will ich sie einfach nur loswerden.“
„Wenn du möchtest, ich könnte da etwas in die Wege leiten—“
Leonard winkte mit der Hand ab und brachte ihn damit zum Schweigen. „Nein, nein, nein. Natalia wird dreizehn. Es ist nicht der richtige Zeitpunkt.“ Etwas in die Wege leiten? Eine Scheidung… oder eine Gefängnisstrafe?
„Nun ja, wenn du ihr vertraust, soll mir das reichen.“
„Danke“, entgegnete Leonard.
„Halt einfach die Augen offen.“
„Das werd ich.“
„Wir sind darauf angewiesen, dass uns treue Bürger dabei helfen, das aufrecht zu erhalten, was wir uns in so kurzer Zeit erarbeitet haben.“
Was für ein Paradies. „Absolut, Commander.“
„Sonst noch etwas, Leonard?“
Du hast mich herbestellt. „Nein, Sir… Chris.“
Carlyle grinste spontan und ging um den Tisch herum. Eine aufdringliche Duftwolke aus billigem Eau de Cologne und schamloser Unaufrichtigkeit übermannte Leonards Sinne, während er versuchte, die unterschiedlichen Nuancen der Unterhaltung aufzunehmen. Carlyle klopfte ihm auf die Schulter und brachte ihn zur Tür. Aus den Augenwinkeln entdeckte Leonard das Bild des gut aussehenden Mannes mit Ziegenbart aus dem Eingangsbereich.
Carlyle tippte hastig fünf Nummern in den Ziffernblock neben dem Türknauf und entließ Leonard wieder in die Freiheit.
„Es war nett, mit dir zu plaudern“, rief ihm der Commander nach.
Leonard winkte ihm zu, ohne sich dabei umzudrehen. „Immer doch.“
„Ich behalte dich im Auge“, zog ihn Carlyle spielerisch auf.
Da bin ich mir sicher.
Kapitel Acht
„ Er begann seine politische Karriere in sehr jungem Alter“ , erklärte ein Fernsehsprecher.
Ein weiterer Mann lachte in sich hinein. „Er war jünger, als wir dachten.“
Der erste Mann nickte nachdenklich. „Ja, aber es war die richtige Entscheidung. Diese fünf Jahre haben unglaublich viel ausgemacht. Hätte er seine Karriere an irgendeiner Stelle hinausgezögert, hätte das Land wohlmöglich die Wirtschaftskrise oder die CARS–Epidemie nicht überstanden.“
„Wohl wahr, wohl wahr.“
„Es war sein Schicksal.“
Leonard stand in der Schlange der Kantine, direkt hinter Thomas McGinnis. Das Neonlicht summte und flackerte und biss sich mit dem blaugrünen Flimmern des Fernsehers, der an der Decke befestigt war.
„Eric Stehlen, ein Mann mit einer Vision“, sagte McGinnis. Er seufzte dramatisch. „Nichts gegen interessante Geschichten, aber diese Dokumentation haben wir innerhalb der letzten sechs Wochen doch bestimmt schon ein Dutzend Mal gesehen. Denkt euch mal was Neues aus, meine Herren. Stehlen dreht durch oder so was in der Art. Ab und zu mal ein bisschen Abwechslung reinbringen.“
Einige Leute in der Kantine lachten.
„Ich will nicht respektlos gegenüber der First Lady sein, aber ich kann ihn einfach nicht mehr sehen.“
„Du solltest besser aufpassen, was du sagst, McGinnis“, rief ihm ein Mann aus der Ecke des Saals zu.
„Sie werden mich schon nicht wegen Klugscheißerei verknacken.“
„Man weiß ja nie.“
McGinnis warf einen Donut nach dem Mann.
„Hey!“ Die Frau mit den mattbraunen Haaren an der Essensausgabe sah ihn finster an. „Das war ein einwandfreier Donut.“
„Dann gib mir einen neuen, Schätzchen.“ McGinnis zog seine Augenbrauen mehrmals neckisch hoch.
„Nein. Gehen Sie weiter.“
Als sie ans Ende der Schlange gekommen waren, sah sich Leonard im Saal um. Wo bezahlt man hier? Aus Angst, zum mittlerweile hundertsten Mal an diesem Tag wie ein Vollidiot auszusehen, klammerte er sich an sein Tablett, blieb McGinnis auf den Fersen und folgte ihm wie ein Schatten. McGinnis suchte sich einen Tisch an der Wand, so weit vom Fernseher entfernt, wie nur möglich. Außerdem bot der Tisch ein bisschen Privatsphäre. Leonard schlussfolgerte, dass das Essen wohl vom amerikanischen Steuerzahler bezahlt wurde, setzte sich
Weitere Kostenlose Bücher