Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)
bewerkstelligen.“
In der nachfolgenden Stille konnte man die in der Luft liegende Elektrizität beinahe spüren. Ein kribbelndes Gefühl arbeitete sich gerade Leonards Rücken hoch, als Alina plötzlich scharf einatmete.
„Ich weiß es“, flüsterte sie und sah dabei Leonard an. Ihre Wangen wurden rot und in ihren Augen blitzte ein wilder, rebellischer Blick auf.
Sein Gesicht wurde vor Aufregung ebenfalls rot, als er ihre Gedanken erriet. „Ein MRT–Gerät.“
Natalia riss die Augen weit auf.
Alina grinste über das ganze Gesicht. „Darum also.“
„Darum was?“
„Darum habe ich schon seit Jahren nicht mehr gesehen, dass eine MRT durchgeführt wurde.“
Leonard nickte. „Weil eine MRT das Ortungsgerät funktionsunfähig machen könnte. Das würde für den Staat ziemlich hohe Kosten bedeuten, wenn er alle Sender ersetzen müsste. Und wozu überhaupt MRTs machen? Es interessiert sie nicht, ob ein Einzelner lebt oder stirbt, solange nur ihr abstraktes Menschenkonzept unversehrt bleibt.“
Alina stand auf und begann auf und ab zu laufen. „Wir haben ein MRT–Gerät im Keller des Chirurgiegebäudes. Ich habe es gesehen, als ich vor einigen Monaten nach etwas gesucht habe.“ Sie hielt kurz inne und warf die Hände in die Luft. „Ich hatte angenommen, dass das Gerät kaputt war und dass sie es nicht reparierten, weil das Geld ausgegangen war.“
„Aber was ist, wenn es nun nicht kaputt ist?“ Leonards Gesicht hellte sich auf.
„Glaubst du, es könnte funktionieren?“
„Es gibt keine Garantie, aber es ist die beste Idee, die wir bis jetzt hatten.“ Er legte die Stirn in Falten. „Könnten wir dabei verletzt werden?“
„Ich weiß es nicht. Kommt darauf an, wo genau sich der Sender befindet und was mit ihm passiert, wenn wir ihn einem magnetischen Feld aussetzen.“
Sie schwiegen, während Leonard die Möglichkeiten abwog. Als er daran dachte, welches Schicksal seine Tochter am Freitag erwartete, kam er zu dem Schluss, dass es das Risiko wert war. „Wir sollten es versuchen.“
Alina berührte ihren Mann an der Schulter. Er stand auf und umarmte sie.
„Heißt das etwa, meine Idee könnte die Lösung sein?“, fragte Natalia und stand ebenfalls auf.
Leonard zog sie zu einer Gruppenumarmung heran. „Ja, meine geniale Tochter, das heißt es.“
Binnen Sekunden wurde Leonard von Freudentränen überwältigt. „Wir könnten es schaffen“, sagte er und küsste erst Natalia und dann Alina. „Wir könnten es wirklich schaffen.“
Kapitel Einundzwanzig
„Sie erwarten dich morgen nicht bei der Arbeit, richtig?“, vergewisserte sich Alina.
„Ich wurde suspendiert. Offensichtlich hat Carlyle bemerkt, wie viel Schaden ich auf dem Stützpunkt anrichten könnte, wenn ich Zugang zum Computernetzwerk hätte.“
„Und wenn dein Schicksal in der Klinik ohnehin schon besiegelt ist… warum solltest du da nicht etwas Schaden anrichten wollen?“
„Eben.“
„Also wird dich niemand vermissen.“
„Nein. Vor allem nicht, wenn Carlyle die Wächter wirklich für sechsunddreißig Stunden zurückgepfiffen hat.“
„Das werden wir noch sehen“, murmelte Alina.
„Denk positiv“, sagte Leonard und übernahm die Führung. „Wir werden morgen früh alle zum Krankenhaus gehen.“
Natalia zog am Ärmel ihres Vaters. „Aber ich werde morgen in der Schule erwartet. Sie machen einen ziemlichen Aufstand, wenn jemand fehlt.“
Er neigte vergnügt den Kopf zur Seite. „Kannst du dich nicht einfach krankmelden?“
„Dann schicken sie eine Schulkrankenschwester zu uns, um zu überprüfen, ob das stimmt.“
„Das soll wohl ein Witz sein.“
„So war es bei vielen meiner Freunde. So gut wie niemand schwänzt mehr.“
Leonard blähte seine Backen auf und atmete schließlich langsam aus. „Und wie wäre es mit der Mittagspause?“
„Wir haben eine halbe Stunde Pause.“
„Und was passiert, wenn du nachmittags nicht zum Unterricht erscheinst?“
Natalia runzelte die Stirn. „Ich bin mir nicht sicher, wahrscheinlich schicken sie auch jemanden, um nach mir zu sehen.“
„Aber es gehört nicht zur Routine, oder? Die Anwesenheit zu überprüfen?“
„Nein, nicht dass ich wüsste. Wir dürfen sowieso nicht vom Schulgelände, also kommt das Problem gar nicht erst auf—“
„Könnte ich dich abholen kommen?“
„Ich weiß nicht. Vielleicht.“
„Muss ich dich ganz offiziell im Sekretariat abmelden, oder so was?“
Natalia seufzte. „Ich hab noch nie ein Elternteil in der
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