Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)
Rückenmarksflüssigkeit entnommen?“
„Ja.“
„Warum Rückenmarksflüssigkeit, wenn das Ganze nur eine Täuschung ist? Warum nicht Blut?“
Alina zuckte teilnahmslos mit den Schultern. „Vielleicht damit Bürger mit einem Mikroskop zuhause den Test nicht einfach selbst durchführen können.“
„Keine schlechte Theorie.“
„Warte mal“, unterbrach Natalia. „Was meinst du mit eine Täuschung? Es ist nicht echt?“
Da sie nicht in der Lage war, ihre Tochter anzusehen, schloss Alina die Augen und schüttelte den Kopf.
Ein Gedankengestöber tobte in Leonards Kopf und kämpfte um seine Aufmerksamkeit. Logik verdrängte Einfühlungsvermögen. Die Angst seiner Tochter und das Schuldgefühl seiner Frau mussten warten. Er hakte nach. „Also der Patient liegt auf dem Untersuchungstisch“, sagte er. „Mit dem Gesicht nach unten—“
„Er liegt auf der Seite“, verbesserte ihn Alina.
„Okay, aber er hat keine Möglichkeit zu sehen, was wirklich vor sich geht. Wie lange dauert der CARS–Test?“
Sie schwieg. Ihr Gesicht wurde blass.
„Alina?“
„Ich weiß nicht. Eine Lumbalpunktion sollte nicht so lange dauern.“
„Was meinst du mit, du weißt es nicht? Du arbeitest doch im Krankenhaus.“
„Ich habe nie selbst einen Test durchgeführt. Das habe ich dir schon gesagt.“
„Aber du wurdest schon mal getestet, oder?“
„Wir wurden alle schon mal getestet.“
„Also, wie lange hat es gedauert?“, wiederholte er langsam, als spreche er mit einem Kind. „Waren die Leute im Raum geschwätzig oder nervös oder—“
„Ich weiß es nicht.“ Sie verzog das Gesicht.
Leonard seufzte verzweifelt. „War es etwa so traumatisch, dass du dich nicht mehr daran erinnern kannst?“
Alina bis sich auf die Lippe und sah zu Boden. „Sie haben uns betäubt.“
„Narkose?“
„Ja“, flüsterte sie.
„Sie setzen alle unter Narkose, sogar Erwachsene… für eine Lumbalpunktion?“
„Ich nehme an, rückblickend scheint das etwas extrem.“
„Ach wirklich?“
Leonards Herz raste und das übermütig euphorische Gefühl, das durch das Lösen des Rätsels aufgekommen war, löste sich nun langsam auf und wandelte sich in Übelkeit um. Er wollte nicht recht haben. Nicht dieses Mal.
„Die Menschen hatten Angst“, sagte Alina, aber die Müdigkeit in ihrer Stimme sprach Bände.
„Stell dir doch mal die Kosten vor. Keine Regierung würde je so viel Geld ausgeben, nur damit sich die Menschen während eines Tests wohlfühlen.“
Alina rieb sich die Augen. „So stellen sie es also an.“
Natalia, deutlich verängstigt und verwirrt, griff nach dem Arm ihres Vaters und zwang ihn, sie anzusehen. „Wovon zum Teufel redet ihr?“
Leonard sah Alina an. Sie antwortete ihm mit einem schwachen Nicken.
Die nächste halbe Stunde brachte Leonard damit zu, seine Tochter auf den neusten Stand zu bringen, bezüglich der Ortungssender und ihrer nun zerstörten Pläne, bis Freitag aus der Stadt zu fliehen.
„Wir möchten dich aus diesem Albtraum hier wegbringen“, flüsterte Alina und berührte ihre Tochter an der Wange.
Leonard sprang auf und trat den Stuhl zur Seite. Er starrte an die Decke und erlaubte der Wut und Enttäuschung sein Gehirn zu überschwemmen. Nachdem das Wasser etwas zurückgegangen war, tauchte die Vernunft wieder auf. Er überprüfte die Fakten erneut und wog ihre Möglichkeiten ab. Mit einem scharfen Atemzug formten sich die zweifelhaften Umrisse einer Idee.
Er setzte sich auf die Kante des Couchtisches, sodass er sich mit seinen Mädels auf Augenhöhe befand.
„Eine Chance haben wir vielleicht noch“, sagte er.
„Welche Chance sollen wir da bitte noch haben, Leonard?“
„Ich habe euch noch nicht alles erzählt. Um während der Mittagspause an meinem Schreibtisch bleiben zu können, du weißt schon, um deinen roten Punkt zu verfolgen, musste ich die Pausentante ziemlich scharf anfahren, um sie loszuwerden.“ Mit einem Räuspern versuchte er, das grundsätzliche Ekelgefühl abzuschütteln, das er gegenüber dieser altbackenen Frau empfand. „Es hatte geklappt, aber leider bemerkten ein paar Leute meinen kleinen Ausrutscher.“
„Ja und?“
„Carlyle hat mich in sein Büro bestellt.“ Im Versuch die Schuldgefühle zu unterdrücken, die in ihm hochkamen, weil er darüber nachgedacht hatte, wie einfach es wäre, seine Familie zu verraten, biss sich Leonard auf die Lippe.
„Oh Gott. Was hat er gemacht?“
„Ein kleines passiv–aggressives Tänzchen. Er äußerte sich
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