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Neunerlei - eine Weihnachtserzählung

Neunerlei - eine Weihnachtserzählung

Titel: Neunerlei - eine Weihnachtserzählung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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in ihrem Element und bei dem, was sie sagte. Während ich darüber nachdachte, wie ich das Gespräch ein wenig in die Länge ziehen konnte, hörte ich Worte an mir vorüberrauschen,
Campesterol, Stigmasterol, Beta-Sitosterol.
Verwirrt nickte ich, und nachdem die Mohnblüte verstummt war, bedankte ich mich artig und ging langsam zur Tür.
    In der Hoffnung, irgendetwas möge geschehen, hörte ich sie tatsächlich sagen: »Ich   … der Kranz«, und sie deutete auf den Gewürzkranz, den sie neben der Kasse platziert hatte.
    »Ja?«
    »Er ist   … wunderschön   … aber   …« Wieder eine Pause, in der sie mit sich zu ringen schien, »aber doch ein viel zu wertvolles Geschenk.«
    »Sie haben mir sehr geholfen, helfen mir sehr.«
    |60| »Was tue ich denn?«
    »Sie teilen Ihr Wissen mit mir. Ihr Wissen über Gewürze, das schier unbegrenzt scheint.«
    Jetzt errötete sie. »Darf ich Sie einladen   … zu einem orientalischen Essen vielleicht?«, fragte sie hastig als hätte sie es plötzlich eilig.
    Nun war es an mir zu erröten. Wir waren wie zwei tugendhafte Damen aus der Historienreihe des Rosa-Verlages.
    »Ja, gern«, stammelte ich.
    »Fein«, flüsterte sie heiser. »Ich heiße übrigens Katharina Lichtblau.«
    »Ich bin Sami.«
     
    Katharina Lichtblau führte mich in ein syrisches Restaurant. Wir wurden gebeten, die Schuhe auszuziehen, und ich war froh, dass ich mich an diesem Abend für das einzige Paar Socken ohne Löcher entschieden hatte. Wahrscheinlich hatte ich so etwas befürchtet.
    Die meisten Menschen denken, ich fühle mich in einer exotischen Atmosphäre zu Hause. Das muss an meinem Äußeren liegen. Türken sprechen mich auf Türkisch an, Kurden halten mich für einen der Ihren. Ein Libanese beharrte einmal darauf, dass ich sein totgeglaubter Cousin sei, der bei einem Bombenangriff auf sein Wohnhaus ums Leben gekommen, dessen Leiche aber nie |61| gefunden worden war. Hin und wieder kommt es vor, dass man mir eine indianische Herkunft andichtet. Dabei bin ich in einem Kinderheim in Bottrop aufgewachsen, habe Germanistik in Köln studiert, und die einzige Sprache, die ich wirklich beherrsche, ist Deutsch.
    Von einem Syrer, der mich mit einem vielsagenden Blick beäugte (»Du bist einer von uns«), wurden wir an einen Tisch im hinteren Teil des Restaurants geführt und gebeten, auf dem Teppich Platz zu nehmen. Auch an den Wänden hingen Teppiche, von denen Engel und Weihnachtsmänner herabbaumelten. In einem Regal standen ziselierte Tabletts aus Messing und auf dem Tisch ein Adventsgesteck mit einer dicken roten Kerze und Tannengrün. Während sich mein Blick in ein rätselhaftes Gebilde an der Wand verhakte, nestelte die Mohnblüte in ihrer Tasche und zog etwas heraus, das sie vor mir auf den Tisch stellte.
    »Hier«, hörte ich sie sagen. Das Päckchen war in Geschenkpapier gewickelt, auf dem lauter Gewürze abgebildet waren. »Das ist für Sie.«
    Vorsichtig löste ich den Tesafilm und schlug das Papier auf. Zum Vorschein kam ein Mokkakännchen und eine Packung Kaffee, der seltsam roch.
    »Arabischer Kaffee mit Kardamom«, sagte die |62| Mohnblüte so leise, dass ich ihre Worte mehr erriet als hörte, und sie zupfte eine Tannennadel aus dem Gesteck, hielt sie in die Kerzenflamme und beobachtete, wie sie aufflammte und knisternd verglühte.
    »Das ist ein ganz tolles Geschenk«, sagte ich etwas lahm und fragte mich, wie um alles in der Welt man damit Kaffee kochte. Wahrscheinlich hielt sie mich aufgrund meines Äußeren für exotisch und weltoffen. Dabei trank ich – und das ist noch heute so – am liebsten Filterkaffee, den ich mir von Hand aufbrühte. Ich mochte auch keinen Cappuccino, Latte Macchiato oder anderen Firlefanz. Und zum Frühstück aß ich am liebsten eine Butterstulle mit einem weichgekochten Ei.
    Der syrische Kellner kam, platzierte vor uns einen Korb mit Fladenbrot und eine Schüssel mit einer gelben Paste, die wir nicht bestellt hatten, und wandte sich an mich, auf Arabisch. Die einzigen arabischen Worte, die ich neben
Alhamdu Lillah
beherrschte, waren
Mafi Masout,
was ich eines Winters von einem arabischen W G-Genossen gelernt hatte, als die Heizung ausgefallen war, und was so viel bedeutete wie »kein Heizöl«.
    »Hommos«, sagte die Mohnblüte in mein hilfloses Lächeln hinein, nickte dem Kellner zu, griff |63| sich einen Fladen, rupfte sich ein großes Stück ab, formte es zu einer Art Kelle und tunkte den Fladenlöffel in den gelben Brei. Als ich nicht reagierte,

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