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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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die Hände hinter dem Kopf verschränkt. »Anschnallen, Miss. Hab ich natürlich nicht nötig, weil ich ja schließlich nicht echt bin, wie du gerade gesagt hast.«
    Kumiko runzelte die Stirn und warf dem Geist das Gerät in den Schoß. Er verschwand. Sie schnallte sich an, warf einen Blick auf das Ding, zögerte und nahm es wieder in die Hand.
    »Zum ersten Mal in London?«, fragte er, vom Rand her in ihr Blickfeld wirbelnd. Sie nickte unwillkürlich. »Du hast doch nicht etwa Angst vorm Fliegen? Oder doch?«
    Sie schüttelte den Kopf und kam sich dabei völlig albern vor. »Keine Sorge«, sagte der Geist. »Ich pass schon auf dich auf. Noch drei Minuten bis Heathrow. Holt dich jemand vom Flugzeug ab?«
    »Der Geschäftsfreund meines Vaters«, sagte sie auf Japanisch.
    Der Geist grinste. »Dann bist du bestimmt in guten Händen.« Er zwinkerte. »Sieht man mir gar nicht an, dass ich so sprachbegabt bin, was?«
    Kumiko schloss die Augen, und der Geist begann, ihr im Flüsterton etwas über die Archäologie von Heathrow zu erzählen, über die Jungsteinzeit und die Eisenzeit, über Keramik und Werkzeuge …
     
    »Miss Yanaka? Kumiko Yanaka?« Der Engländer ragte über ihr auf, seine Gaijin-Masse in mammuthafte Falten dunkler Wolle gehüllt. Kleine, dunkle Augen musterten sie ausdrucksloshöflich durch eine Nickelbrille. Seine Nase sah aus, als sei sie plattgeschlagen und nicht mehr gerichtet worden. Die spärlichen Reste seiner Haare waren zu grauen Stoppeln geschoren, und die fingerlosen schwarzen Strickhandschuhe waren ausgefranst.

    »Mein Name ist Petal, musst du wissen«, sagte er, als würde sie das sofort beruhigen.
     
    Petal nannte die Stadt Smoke .
    Kumiko saß fröstelnd auf kaltem rotem Leder; durch die Scheibe des betagten Jaguars sah sie den Schnee fallen und auf der Straße schmelzen, die Petal M4 nannte. Der Spätnachmittagshimmel war farblos. Petal fuhr schweigend und gut, die Lippen wie zum Pfeifen gespitzt. Lachhaft wenig Verkehr für Tokioter Begriffe. Sie überholten einen unbemannten Eurotrans-Laster, dessen stumpfer Bug mit Sensoren und Frontscheinwerferbatterien bestückt war. Trotz der Geschwindigkeit des Jaguars hatte Kumiko das Gefühl, irgendwie stillzustehen; ringsum begannen sich die Partikel Londons aneinanderzulagern. Nasse Backsteinmauern, Betonbögen, schwarzlackierte Eisenspeere in senkrechten Reihen.
    Vor ihren Augen nahm die Stadt allmählich Gestalt an. Wenn der Jaguar nach der Abfahrt von der M4 an Kreuzungen hielt, konnte sie durch den Schnee Gesichter sehen, gerötete Gaijin-Gesichter mit schalvermummtem Kinn über dunkler Kleidung, Absätze von Frauenstiefeln, die durch silberne Pfützen klackerten. Die Ladenzeilen und Häuserreihen erinnerten sie an das wunderbar detailgetreue Zubehör einer Spielzeugeisenbahn, die sie in einem europäischen Antiquitätengeschäft in Osaka gesehen hatte.
    Hier war es ganz anders als in Tokio, wo man die Vergangenheit – oder vielmehr deren Überreste – mit ängstlicher Fürsorge hegte und pflegte. Historisches hatte dort Seltenheitswert, war eine bestimmte Quantität geworden, die von den Behörden parzelliert, durch Gesetze geschützt und mit Firmengeldern erhalten wurde. Hier dagegen schien die Stadt daraus zu bestehen, als wäre sie ein einziges Gewächs aus Stein und Ziegel, aus unzähligen sinn- und bedeutungshaltigen
Schichten, eine Epoche auf der anderen, ein Gebilde, das durch die Jahrhunderte nach den Diktaten einer heute keineswegs unlesbaren DNS aus Handel und Empire entstanden war.
    »Bedaure, dass Swain nicht selber herkommen und dich abholen konnte«, sagte der Mann namens Petal. Kumiko hatte weniger Probleme mit seinem Akzent als mit seinem Satzbau; sie fasste seine Entschuldigung zunächst als Befehl auf. Sie erwog, den Geist zu Rate zu ziehen, sah dann jedoch davon ab.
    »Swain«, meinte sie zaghaft. »Mr. Swain ist der, bei dem ich wohne?«
    Petals Augen fanden sie im Spiegel. »Roger Swain. Hat dir dein Vater das nicht gesagt?«
    »Nein.«
    »Aha.« Er nickte. »Mr. Yanaka ist in solchen Dingen sehr auf Sicherheit bedacht, nur vernünftig. Ein Mann in seiner Position und so weiter …« Er seufzte laut. »Tut mir leid wegen der Heizung. Die Werkstatt hätte das eigentlich längst erledigen sollen.«
    »Sind Sie einer von Mr. Swains Sekretären?«, fragte sie die stoppligen Speckwülste über dem Kragen des dicken dunklen Mantels.
    »Sein Sekretär?« Er schien darüber nachzudenken. »Nein«, antwortete er

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