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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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das?«
    »Ich glaube, das da«, sagte sie und deutete auf das unscheinbare graue Paket, das über dem Kopf des Mannes montiert war.

7
    Da gibt’s kein Dort
    Sie stellte sich vor, dass Swift auf der Terrasse in den Tweedsachen auf sie wartete, die er im winterlichen L. A. am liebsten trug: Jackett und Weste passten nicht zusammen – Fischgrät und Hahnentritt -, aber alles war aus der gleichen Wolle, und die womöglich sogar von den gleichen Schafen auf demselben Hügel. Sein gesamtes Outfit wurde in London von einer Kommission in einem Raum über einem Laden in der Floral Street zusammengestellt, den er noch nie gesehen hatte. Sie ließen gestreifte Hemden für ihn fertigen, deren Baumwolle sie von Charvet in Paris bezogen; sie machten seine Krawatten, ließen die Seide in Osaka weben und das dichte kleine Sense/Net-Logo einsticken. Und trotzdem sah er irgendwie aus, als hätte ihn seine Mutter angezogen.
    Die Terrasse war leer. Der Dornier stand in der Luft und schwirrte dann zu seinem Horst davon. Mamman Brigittes Erscheinung haftete immer noch an ihr.
    Sie ging in die weiße Küche und wusch sich das trocknende Blut von Gesicht und Händen. Als sie das Wohnzimmer betrat, war ihr, als sähe sie es zum ersten Mal. Der gebleichte Boden, die vergoldeten Louis-XVI-Sessel mit Chiffonbezug und Samtmuster, der kubistische Prospekt eines Valmier. Genau wie Hiltons Garderobe, dachte sie; von begabten Fremden zusammengestellt. Ihre Stiefel hinterließen feuchte Sandspuren auf dem hellen Boden, als sie zur Treppe ging.
    Kelly Hickman, ihr Garderobier, war während ihres Klinikaufenthalts im Haus gewesen und hatte im großen Schlafzimmer ihr Arbeitsgepäck hergerichtet. Neun Hermès-Gewehrkoffer, schlicht und rechteckig wie Särge aus mattem Sattelleder. Ihre Kleider wurden nie zusammengelegt, sondern waren stets einzeln zwischen Seidenpapier ausgebreitet.

    Sie stand in der Tür und starrte auf das leere Bett und die neun ledernen Särge.
    Sie ging ins Badezimmer – gläserne Wanne und weißes Fliesenmosaik – und schloss hinter sich ab. Sie öffnete ein Schränkchen und noch eines, ohne sich um die säuberlich aufgereihten, originalverpackten Toilettenartikel, Markenmedikamente und Kosmetika zu kümmern. Sie fand den Applikator im dritten Schränkchen neben einer verschweißten Derm-Packung. Sie bückte sich und musterte das graue Plastik, das japanische Logo, wagte jedoch nicht, ihn anzufassen. Der Applikator sah neu aus, unbenutzt. Sie war so gut wie sicher, dass sie ihn weder gekauft noch dorthin gelegt hatte. Sie holte den Stoff aus der Jackentasche und inspizierte ihn, drehte das Briefchen mehrmals um und sah die genau bemessenen Dosen violettes Dust in den versiegelten Taschen hin und her rieseln.
    Sie sah sich das Päckchen auf das weiße Marmorsims legen, den Applikator darüber platzieren, ein Derm aus seiner Plastikverpackung lösen und einlegen. Sie sah eine rote Leuchtdiode blinken, als der Applikator eine Dosis aufgezogen hatte; sie sah sich das Derm entnehmen und es wie einen weißen Plastik-Blutegel auf der Spitze des Zeigefingers balancieren, sah auf dessen feuchter Innenfläche winzige DMSO-Perlen glitzern …
    Sie wandte sich ab, ging drei Schritte zum Klo und ließ das ungeöffnete Päckchen in die Schüssel fallen. Dort trieb es wie ein Miniaturfloß; der Stoff war immer noch völlig trocken. Völlig. Mit zittriger Hand tastete sie nach einer rostfreien Nagelfeile und kniete sich auf die weißen Fliesen. Sie musste die Augen zumachen, als sie das Päckchen festhielt, die Feilenspitze in den Saum einstach und drehte. Die Feile fiel scheppernd zu Boden, als sie die Spülung drückte und die zwei Hälften des leeren Briefchens verschwanden. Sie lehnte sich mit
der Stirn an kühles Emaille und zwang sich dann aufzustehen, zum Waschbecken zu gehen und sich gründlich die Hände zu waschen.
    Sie verspürte nämlich den Wunsch – und das wusste sie jetzt -, sich die Finger abzulecken.
     
    Später dann, am trüben Nachmittag, fand sie in der Garage eine Versandbox aus Wellplastik, trug sie ins Schlafzimmer hoch und begann, Bobbys restliche Sachen einzupacken. Es war nicht viel: eine Lederjeans, die er nicht gemocht hatte, ein paar Hemden, die er entweder ausrangiert oder vergessen hatte, und in der untersten Schublade der Teakholzkommode ein Cyberspace-Deck. Es war ein Ono-Sendai, nicht viel mehr als ein Spielzeug, mit einem Knäuel schwarzer Kabel, einem Satz Stim-Troden und einer fettigen Tube Salzpaste

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