Neuromancer-Trilogie
Die schwarzen Stahlregale voller Dinge, mit denen man sich die Zeit vertreiben konnte, hatten Petal veranlasst, mit Kumiko vor dem Tee herzukommen. Er schlurfte in seinen Moleskin-Pantoffeln mit den kaputten Nähten dahin und zeigte ihr das vorhandene Spielzeug.
»Was für ein Krieg war das?«
»Der vorletzte«, sagte er und ging zu einem ähnlichen, aber größeren Gerät, das Hologramme von zwei Mädchen beim Thai-Boxen zeigte. Die schwielige Sohle der einen knallte in den flachen Bauch der anderen, der angespannt war, um den Schlag abzufedern. Er berührte einen Knopf, und das Bild verschwand.
Kumiko schaute wieder zur Luftschlacht um England mit ihren brennenden Mücken.
»Fiches von allen möglichen Sportarten«, sagte Petal und öffnete einen maßgearbeiteten schweinsledernen Koffer mit Hunderten solcher Aufzeichnungen.
Er führte ihr ein halbes Dutzend weitere Geräte vor und suchte dann einen japanischen Videonews-Kanal, wobei er sich den stoppeligen Kopf kratzte. Er fand den Kanal schließlich auch, konnte aber das automatische Übersetzungsprogramm nicht abstellen. Er verfolgte mit ihr zusammen, wie ein Kader von Ono-Sendai-Trainees tränenreich den Abschluss seiner Ausbildung feierte. »Was hat denn das zu bedeuten?«, fragte er.
»Sie stellen ihre Loyalität gegenüber ihrer Zaibatsu unter Beweis.«
»Aha«, sagte er und wischte mit seinem Staubwedel über den Fernseher. »Ist bald Teatime.« Er ging hinaus. Kumiko schaltete den Ton ab. Sally Shears war nicht zum Frühstück erschienen, auch Swain nicht.
Moosgrüne Vorhänge bedeckten eine weitere Reihe großer Fenster, die ebenfalls zum Garten gingen. Sie schaute auf eine eingeschneite Sonnenuhr hinaus und ließ den Vorhang wieder zufallen. (Der stumme Wandbildschirm zeigte Unfallbilder aus Tokio, Sanitäter im Schutzanzug, die leblose Opfer aus einem Blechknäuel sägten.) An der anderen Wand stand ein oberlastiger viktorianischer Schrank auf geschnitzten Beinen, die wie Ananas aussahen. Das von einer rautenförmigen Intarsie aus vergilbtem Elfenbein eingefasste Schlüsselloch war leer, aber als sie die Türen probierte, gingen sie auf, wobei sie den chemischen Geruch alter Politur verströmten. Sie betrachtete das schwarz-weiße Mandala an der Rückwand des Schranks, bis es zu dem wurde, was es war: eine Dartscheibe. Das glänzende Holz dahinter war pockennarbig und voller Einstiche; einige Spieler hatten also nicht mal die Scheibe getroffen, dachte sie. Die untere Schrankhälfte wies mehrere Schubfächer auf, die jeweils mit einem kleinen Messingknauf und einem winzigen, elfenbeingefassten Schlüsselloch ausgestattet waren. Sie kniete sich davor, warf einen kurzen Blick
zur Tür (auf dem Wandbildschirm waren die Lippen einer Shinjuku-Kabarettistin zu sehen) und zog das Schubfach rechts oben auf, so leise es ging. Es war voller Wurfpfeile, lose oder in Ledertäschchen. Sie schloss es wieder und öffnete die Schublade links daneben. Eine tote Motte und eine rostige Schraube. Darunter war eine einzelne breite Schublade; sie klemmte und knarrte, als Kumiko sie aufzog. Sie schaute sich wieder um (Archivbilder vom Fuji-Electric-Logo über der Bucht von Tokio), aber von Petal war nichts zu sehen.
Sie blätterte ein paar Minuten in einem Pornoheft mit japanischem Text, in dem es in erster Linie um die Kunst des Knotens zu gehen schien. Darunter lag eine staubig aussehende Hülle aus gewachster schwarzer Baumwolle und eine graue Plastikschatulle mit der Aufschrift WALTHER in erhabenen Lettern auf dem Deckel. Die Pistole selbst war kalt und schwer; sie konnte ihr Gesicht im blauen Stahl erkennen, als sie sie aus dem passgenauen Schaumstoffbett hob. Noch nie hatte sie eine Schusswaffe in der Hand gehabt. Der graue Plastikgriff kam ihr riesengroß vor. Sie legte die Pistole in die Schatulle zurück und überflog den japanischen Text in einer Mappe mit der vielsprachigen Gebrauchsanweisung. Es war eine Luftpistole; man musste auf den Hebel unter dem Lauf drücken. Sie verschoss winzige Bleikugeln. Noch ein Spielzeug. Sie legte alles in die Schublade zurück und machte sie zu. Die übrigen Schubladen waren leer. Sie schloss die Schranktür und kehrte zur Luftschlacht um England zurück.
»Nein«, sagte Petal, »tut mir leid, aber das geht nicht.«
Er strich Devon-Sahne auf den Teekuchen. Das schwere viktorianische Streichmesser sah zwischen seinen Wurstfingern wie ein Kinderspielzeug aus. »Probier auch mal die Sahne«, sagte er, senkte den breiten
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