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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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Schädel und blickte sie über den Rand seiner Brille hinweg ausdruckslos-höflich an. Kumiko
tupfte sich mit einer Leinenserviette einen Marmeladenklecks von der Oberlippe. »Glauben Sie, ich würde weglaufen?«
    »Weglaufen? Spielst du mit dem Gedanken, wegzulaufen?« Er steckte sich den Kuchen in den Mund, kaute unerschütterlich und schaute in den Garten hinaus, wo frischer Schnee fiel.
    »Nein«, sagte sie. »Ich habe nicht die Absicht, wegzulaufen.«
    »Gut.« Er biss erneut in das Gebäck.
    »Bin ich auf der Straße in Gefahr?«
    »Du liebe Güte, nein«, sagte er mit einer Art entschlossener Munterkeit. »Du bist so sicher wie in Abrahams Schoß.«
    »Ich möchte rausgehen.«
    »Nein.«
    »Aber mit Sally gehe ich doch auch raus.«
    »Ja«, sagte er. »Die ist schon’ne schlimme Nummer, deine Sally.«
    »Diese Redewendung kenne ich nicht.«
    »Du gehst nicht allein aus dem Haus. Ist eine Anweisung deines Vaters, verstehst du? Wenn du mit Sally gehst, ist das in Ordnung, aber die ist nicht da. Zwar wird sich wohl kaum jemand an dich ranmachen, aber lieber kein Risiko eingehen. Und ich würde dich ja wirklich furchtbar gern begleiten, mit dem größten Vergnügen, aber ich muss leider hierbleiben, falls Swain Besuch bekommt. Ich kann also nicht. Schade, wirklich schade.« Er schaute so aufrichtig bekümmert drein, so dass Kumiko einzulenken beschloss. »Noch eins?«, fragte er, auf ihren Teller deutend.
    »Nein danke.« Sie legte die Serviette hin. »Es war sehr gut«, fügte sie hinzu.
    »Nächstes Mal solltest du die Sahne probieren«, sagte er. »Gab’s nach dem Krieg nicht. Der Regen zog von Deutschland herüber, und da ging’s den Kühen nicht so gut.«

    »Ist Swain jetzt hier, Petal?«
    »Nein.«
    »Ich sehe ihn nie.«
    »Viel unterwegs. Geschäfte. Ist mal so und mal so. Bald kommen sie wieder alle an, und dann hält er hier Hof.«
    »Wer, Petal?«
    »Geschäftspartner, könnte man sagen.«
    »Kuromaku«, sagte sie.
    »Wie bitte?«
    »Ach, nichts.«
     
    Den Nachmittag verbrachte sie allein im Billardzimmer, in einen Ledersessel gekuschelt, und schaute zu, wie im Garten der Schnee fiel, bis die Sonnenuhr nur noch ein konturloser weißer Pfahl war. Sie stellte sich ihre Mutter dort vor, in dunkle Pelze gehüllt, allein im Garten, wo es schneite, eine Prinzessin-Ballerina, die sich im nachtschwarzen Wasser des Sumida ertränkt hatte.
    Sie stand fröstelnd auf und ging um den Billardtisch herum zum Marmorkamin, wo eine Gasflamme leise unter Kohlen zischte, die nie verbrannten.

15
    Der Silberweg
    In Cleveland hatte sie eine Freundin namens Lanette gehabt, von der sie viel gelernt hatte. Wie man schnell aus einem Auto kam, wenn ein Freier die Türen verschließen und einen einsperren wollte; wie man es anstellte, wenn man sich Stoff besorgen wollte. Lanette war ein bisschen älter und nahm Wiz hauptsächlich, um »den Törn ein bisschen aufzupeppen«, wie sie es nannte. Sie zog sich nämlich ständig irgendwelche Downer rein, von Endorphinanaloga bis zum schlichten alten Tennessee-Opium.
Sonst, meinte sie, würde sie nur zwölf Stunden am Tag vor der Glotze hängen und sich jeden Scheiß anschauen. Aber wenn das Wiz einen auf Touren brachte und damit die warme Unverwundbarkeit eines guten Downer-Törns ergänzte, hatte man ihrer Meinung nach echt was davon. Doch Mona war aufgefallen, dass Leute, die auf Downer standen, andauernd kotzten, und außerdem kapierte sie nicht, warum sich jemand vor die Glotze setzen sollte, wenn er sich genauso gut ein Stim reinziehen konnte. (Lanette hatte gesagt, Simstim sei auch was, wovon sie loskommen wolle.)
    Sie musste an Lanette denken, weil Lanette ihr ab und zu einen Rat gegeben hatte, zum Beispiel, wie man einen öden Abend noch retten konnte. Heute Abend, dachte sie, würde Lanette ihr raten, in eine Bar zu gehen, sich unter die Leute zu mischen. Sie hatte noch ein bisschen Geld von ihrer letzten Nachtschicht in Florida, also musste sie bloß einen Laden finden, der Bargeld nahm.
    Den fand sie gleich auf Anhieb. Ein gutes Zeichen. Eine schmale Betontreppe runter und hinein ins rauchige Stimmengewirr und den vertrauten Beat von Shabus »White Diamonds« im Hintergrund. Kein Laden für Schlipse, aber auch kein Spot , wie die Luden in Cleveland sagen würden. Heute Abend hatte sie absolut keinen Bock, in einem Spot was zu trinken.
    Am Tresen stand gerade jemand auf und ging, als sie reinkam. Sie flitzte hin und ergatterte den Hocker. Das Plastik war noch warm; das

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