Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
Vom Netzwerk:
wahrscheinlich gar keine Gestalt hat, und selbst wenn, wen interessiert das schon?« Der Richter und die anderen hatten absolut nichts Willkürliches an sich. Der Entstehungsprozess war Zufall, aber das Resultat musste einer inneren Vorgabe entsprechen, zu der er keinen direkten Zugang hatte.
    »Komm weiter«, sagte Gentry.
    Slick blieb, wo er war, und blickte hoch in Gentrys helle Augen, die in diesem Licht grau wirkten, in sein angespanntes Gesicht. Warum gab er sich überhaupt mit Gentry ab?
    Weil man jemanden brauchte auf Solitude. Nicht nur für den Strom; dieses ganze Hausherrentheater war eigentlich nur dummes Zeug. Vermutlich tat er es, weil man jemanden um sich brauchte. Mit Bird konnte man sich nicht unterhalten, denn der interessierte sich für kaum was und erzählte nur Quatsch. Und auch wenn Gentry es nicht zugab: Slick
hatte das Gefühl, dass er in manchen Dingen ziemlich gut durchblickte.
    »Ja«, sagte Slick und stand auf, »gehn wir.«
     
    Der Tunnel war verschlungen wie ein Gedärm. Das Stück mit dem Mosaikboden lag nun bereits etliche Kurven und kurze, gebogene, auf- und abwärts führende Treppen hinter ihnen. Slick versuchte immer wieder, sich ein Bauwerk mit einem solchen Innenleben vorzustellen, aber ohne Erfolg. Gentry ging schnell, mit zusammengekniffenen Augen, und kaute auf der Lippe. Slick hatte den Eindruck, dass die Luft immer schlechter wurde.
    Nachdem sie eine weitere Treppe hochgegangen waren, stießen sie auf ein schnurgerades Stück, das sich links und rechts in der Ferne verlor. Es war breiter als die gebogenen Abschnitte, und der Boden war weich und huckelig: Lauter kleine Teppiche – es schienen Hunderte zu sein – waren in übereinanderliegenden Schichten auf dem Beton ausgerollt. Jeder Teppich hatte sein eigenes Muster und seine eigenen Farben, vorwiegend Rot- und Blautöne, aber alle Muster bestanden aus den gleichen gezackten Rauten und Dreiecken. Der Staubgeruch war hier schlimmer, was Slick auf die Teppiche zurückführte, die sehr alt aussahen. Die obersten waren zur Mitte hin stellenweise bis auf die Kettfäden abgenutzt. Eine Trittspur, als wäre hier jemand jahrelang hin und her gegangen. Einzelne Segmente des Lichtbands an der Decke waren dunkel, andere flackerten nur noch matt.
    »Welche Richtung?«, fragte er Gentry.
    Gentry hatte den Blick gesenkt und knetete die wulstige Unterlippe zwischen Daumen und Zeigefinger. »Da lang.«
    »Wieso?«
    »Weil’s egal ist.«

    Slick bekam müde Beine von den Teppichen. Er musste aufpassen, sich nicht in den durchgescheuerten Löchern zu verheddern. Einmal stieg er über einen Glasbaustein, der aus dem Lichtband gefallen war. Nun kamen sie in regelmäßigen Abständen an Wandstücken vorbei, die aussahen, als wären ehemalige Durchgänge zubetoniert worden. Dort war nichts, nur die gekrümmte Wand in etwas hellerem Beton mit einer etwas anderen Oberflächenstruktur.
    »Gentry, wir müssen hier unter der Erde sein, stimmt’s? In’nem Keller irgendwo drunter …«
    Aber Gentry riss nur den Arm hoch, so dass Slick dagegenlief, und dann standen sie da und starrten das Mädchen am Ende des Korridors an, keine zehn Schritt vor ihnen auf den wogenden Teppichen.
    Sie sagte etwas in einer Sprache, die Slick für Französisch hielt. Ihre Stimme war hell und melodiös, der Tonfall sachlich. Sie lächelte. Ein Knäuel dunkler Haare, darunter ein blasses, zartes Gesicht mit hohen Wangenknochen, kräftiger, schmaler Nase, breitem Mund.
    Slick spürte, wie Gentrys Arm an seiner Brust zitterte. »Schon gut«, sagte er und drückte Gentrys Arm nach unten. »Wir suchen nur Bobby …«
    »Alle suchen Bobby«, sagte sie auf Englisch mit einem Akzent, der ihm unbekannt war. »Ich suche ihn auch. Seinen Körper. Habt ihr seinen Körper gesehen?« Sie trat einen Schritt zurück, als wollte sie weglaufen.
    »Wir tun dir nichts«, sagte Slick, dem plötzlich bewusst wurde, wie er roch und dass seine Jeans und seine braune Jacke dreckverschmiert waren. Und Gentry machte auch nicht gerade einen viel besseren Eindruck.
    »Nein, wohl nicht«, sagte sie, und ihre weißen Zähne blitzten im fahlen Unterwasserlicht erneut auf. »Aber deswegen gefallt ihr mir noch lange nicht.«

    Slick wollte, dass Gentry was sagte, aber der blieb stumm. »Kennst du ihn – Bobby?«, fragte Slick.
    »Er ist wirklich sehr schlau. Außerordentlich schlau. Obwohl ich ihn eigentlich auch nicht mag.« Sie trug ein weites schwarzes Gewand, das bis zu den Knien reichte. Ihre

Weitere Kostenlose Bücher