Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
Vom Netzwerk:
verschneiten Hof hinaus.
    »London«, sagte Bobby. »Musste sie mir abtreten, um an den echten Voodoo-Kram ranzukommen. Sie hat gedacht, die hätten nichts mit ihr zu tun. Hat ihr’nen feuchten Dreck genützt. Sie sind verblasst, irgendwie verschwommen. Manchmal kann man sie noch rufen, aber ihre Persönlichkeiten verschmelzen …«
    »Das passt genau«, sagte Gentry. »Sie sind aus dem ersten Ereignis hervorgegangen, der Wende. Das hast du dir ja schon zusammengereimt. Aber was passiert ist, weißt du noch nicht, oder?«
    »Nein. Ich weiß nur, wo. In der Straylight. Das hat sie mir alles erzählt – alles, was sie weiß, glaube ich. Ist ihr ziemlich egal. Ihre Mutter hat schon recht früh ein paar KIs zusammengebastelt, schwere Kaliber. Dann ist die Mutter gestorben, und die KIs schmorten in den Firmenkernen da oben. Eine fing an, eigenmächtig Deals zu machen. Sie wollte sich mit der andern vereinigen …«
    »Hat sie auch getan. Das ist Ereignis Nummer eins. Alles ist anders geworden.«
    »So einfach ist das? Woher weißt du das?«
    »Weil ich’s aus einer andern Perspektive angegangen bin«, sagte Gentry. »Du hast dich mit Ursache und Wirkung beschäftigt, aber ich hab nach Konturen gesucht, nach Formen in der Zeit. Du hast dich in der gesamten Matrix umgeschaut, aber ich hab die Matrix insgesamt angeschaut. Ich weiß Sachen, die du nicht weißt.«
    Bobby gab keine Antwort. Slick wandte sich vom Fenster ab und sah das Mädchen von vorhin im Zimmer stehen. Sie stand einfach nur da.

    »Das waren nicht nur die KIs von Tessier-Ashpool«, sagte Gentry. »Leute sind den Schacht raufgekommen, um die T-A-Kerne zu knacken. Die haben einen militärischen Eisbrecher aus China mitgebracht.«
    »Case«, sagte Bobby. »Ein Typ namens Case. Ich kenn die Geschichte. So’ne Art Synergie-Effekt …«
    Slick betrachtete das Mädchen.
    »Und die Summe war größer als die Teile?« Gentry schien das richtig Spaß zu machen. »Eine kybernetische Gottheit? Der Geist über den Wassern?«
    »Ja«, sagte Bobby, »so ungefähr.«
    »Ein bisschen komplizierter ist es schon«, erklärte Gentry und lachte.
    Und das Mädchen war weg. Ohne Klicken.
    Slick fröstelte.

32
    Winterreise (2)
    Bei Einbruch der Dunkelheit erreichte der abendliche Stoßverkehr in der U-Bahn seinen Höhepunkt, doch selbst dann war es kein Vergleich zu Tokio; kein Shiroshi-san mühte sich ab, ein paar letzte Passagiere in den Wagen zu quetschen, wenn sich die Türen bereits schlossen. Kumiko betrachtete den lachsroten Dunstschleier des Sonnenuntergangs von einem zugigen Bahnsteig der Central Line aus. Colin lehnte an einem kaputten Automaten mit einer Reihe gesprungener, staubiger Scheiben. »Es wird Zeit«, sagte er. »Und dass du mir zwischen Bond Street und Oxford Circus brav den Kopf gesenkt hältst.«
    »Aber ich muss zahlen, wenn ich durch die Absperrung hinaus will?«
    »Nicht jeder zahlt«, sagte er und warf die Stirnlocke zurück.

    Sie machte sich auf den Weg zur Treppe. Mittlerweile brauchte sie keine Anweisungen mehr von ihm, um den Weg zum gegenüberliegenden Bahnsteig zu finden. Ihre Füße waren wieder eiskalt, und sie dachte an die schaffellgefütterten deutschen Stiefel, die sie im Wandschrank ihres Zimmers bei Swain stehen hatte. Sie hatte die Kombination aus Gummisocken und französischen Stöckelschuhen gewählt, um Dick einzulullen und ihn gar nicht erst auf die Idee kommen zu lassen, dass sie abhauen könnte, aber jedes Mal, wenn die beißende Kälte durch die dünnen Sohlen drang, bereute sie diesen Entschluss.
    Im Tunnel zum anderen Bahnsteig ließ sie das Gerät los, und Colin verblasste flimmernd. Die Wände bestanden aus abgenutzten weißen Keramikfliesen mit einem grünen Zierstreifen. Sie nahm die Hand aus der Tasche, strich mit den Fingern im Gehen an den grünen Fliesen entlang und dachte an Sally und den Finnen und den andersartigen Geruch des winterlichen Sprawls, bis ihr der erste Dracula blitzschnell in den Weg trat. Im nächsten Moment war sie von vier schwarzen Regenmänteln, vier hageren, bleichen Gesichtern umzingelt. »Ey«, sagte der erste, »isse nich hübsch.«
    Sie standen sich Auge in Auge gegenüber, Kumiko und der Dracula; sein Atem roch nach Tabak. Die abendliche Menge, zumeist in dunkle Wolle eingemummelt, strömte um die Gruppe herum weiter dahin.
    »Uh«, sagte einer neben ihr. »Kuck ma. Was’n das?« Er hielt das Maas-Neotek-Gerät hoch. Seine Hand steckte in einem rissigen schwarzen Lederhandschuh.

Weitere Kostenlose Bücher