Neuromancer-Trilogie
übersät, die von Schwarz in hässliches Gelb übergingen. Acht Derms unterschiedlicher Größe und Farbe reihten sich in einer sauberen Linie an ihrem linken Handgelenk auf.
Ein Akai-Transdermalelement lag neben ihr; die feinen roten Leitungen waren mit den Eingabeelektroden unter dem Gips verbunden.
Case knipste die Arbeitsleuchte neben dem Hosaka an. Der scharf begrenzte Lichtkegel fiel direkt auf die Flatline-Konstruktion. Er legte Eis ein, koppelte die Konstruktion an und steckte ein. Es war haargenau das gleiche Gefühl, als wenn ihm jemand über die Schulter geblickt hätte.
Er hustete. »Dix? McCoy? Bist du’s, Mann?« Seine Kehle war wie zugeschnürt.
»Hi, Bruder«, sagte eine Stimme, die von überallher zugleich kam.
»Ich bin Case. Erinnerst du dich?«
»Miami, Handlanger, lernbegabt.«
»Was ist das Letzte, woran du dich erinnerst, bevor ich mit dir gesprochen habe, Dix?«
»Nichts.«
»Warte!« Er unterbrach den Kontakt. Der Spuk war vorüber. Er stellte die Verbindung wieder her. »Dix? Wer bin ich?«
»Ich werd langsam sauer, Amigo. Wer, zum Teufel, bist du?«
»Ca – dein Kumpel. Dein Partner. Was’n los, Mann?«
»Gute Frage.«
»Erinnerst du dich, dass du gerade eben noch hier warst?«
»Nein.«
»Weißt du, wie’ne ROM-Persönlichkeitsmatrix funktioniert?«
»Klar, Bruder. Ist’ne Firmware-Konstruktion.’n fest eingebautes Programm.«
»Wenn ich sie also mit dem Speicher kopple, den ich verwende, kann ich ihr’n sequentielles Echtzeitgedächtnis geben?«
»Glaub schon«, sagte die Konstruktion.
»Okay, Dix. Du bist eine ROM-Konstruktion. Kapiert?«
»Wenn du’s sagst. Und wer bist du?«
»Case.«
»Miami, Handlanger, lernbegabt.«
»Genau. Und für den Anfang, Dix, werden wir nach London ins Gitter zischen und uns ein paar Daten besorgen. Machste mit?«
»Hab ich denn die Wahl?«
6
»Such dir’n Paradies«, riet die Flatline, nachdem Case die Situation erklärt hatte. »Check mal Kopenhagen, die Randzone des Univiertels.« Die Stimme zählte Koordinaten auf, während er in die Tasten hämmerte.
Sie fanden ihr Paradies, ein »Piratenparadies« an der verschachtelten Grenze eines relativ ungesicherten akademischen Gitters. Auf den ersten Blick glich es den Graffiti, die Computerfreaks aus der Studentenszene zuweilen an den Schnittpunkten der Gitterlinien hinterließen: vermischte Glyphen aus buntem Licht, die vor den wirren Umrissen eines Dutzends Kunstfakultäten glitzerten.
»Da«, sagte die Flatline. »Das blaue. Gesehn? Das ist ein Zugangscode für Bell Europa. Noch frisch. Bald kommen sie von Bell, lesen das ganze verdammte Brett und ändern alle Codes, die sie hier finden. Morgen klauen die Jungs dann die neuen.«
Case tippte sich in Bell Europa hinein und schaltete auf einen normalen Telefoncode. Mit Hilfe der Flatline stellte er eine Verbindung zu der Londoner Datenbasis her, die Molly zufolge Armitage gehörte.
»So«, sagte die Stimme, »lass mich mal ran.« Die Flatline leierte eine Reihe von Ziffern herunter, die Case auf seinem
Deck eingab, wobei er darauf achtete, die Pausen zu berücksichtigen, die die Flatline zur Kennzeichnung des Timings machte. Sie brauchten drei Anläufe.
»Na toll«, sagte die Flatline. »Kein bisschen Eis.«
»Geh das Zeug durch«, befahl Case dem Hosaka. »Such alles über die persönlichen Hintergründe des Eigentümers raus.«
Das neuroelektronische Gekritzel des Paradieses verschwand und wurde von einer schlichten Raute hellen Lichts ersetzt. »Inhalt besteht hauptsächlich aus Videoaufzeichnungen von Militärgerichten nach dem Krieg«, sagte die distanzierte Stimme des Hosaka. »Zentrale Figur ist ein gewisser Colonel Willis Corto.«
»Zeig schon!«, sagte Case.
Ein Männergesicht erfüllte den Bildschirm. Es waren die Augen von Armitage.
Zwei Stunden später sank Case neben Molly auf die Matratze und ließ sich vom Temperschaum umschmiegen.
»Was gefunden?«, fragte sie, benommen vom Schlaf und von Medikamenten.
»Erzähl ich dir später«, sagte er. »Ich bin echt alle.« Er hatte einen dicken Kopf und war verwirrt. Mit geschlossenen Augen lag er da und versuchte, die verschiedenen Teile der Story über einen Mann namens Corto zu ordnen. Der Hosaka hatte die spärlichen Daten gesichtet und zu einer Übersicht zusammengestellt, die allerdings zahlreiche Lücken aufwies. Das Material bestand zum Teil aus schriftlichen Aufzeichnungen, die der Hosaka zügig, zu zügig über den Bildschirm hatte laufen
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