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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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lassen, so dass Case den Computer bitten musste, ihm den Text vorzulegen. Außerdem gehörten noch Tonbandmitschnitte der Screaming-Fist-Verhandlung dazu.
    Colonel Willis Corto war durch einen blinden Fleck in der russischen Abwehr über Kirensk heruntergekommen. Die
Transporter hatten mit Impulsbomben das Loch erzeugt, und Cortos Team war darin in Nightwing Microlights mit zum Zerreißen gestrafften Flügeln im Mondschein nach unten gegangen, der sich silbern in den Flüssen Angara und Podkamennaja spiegelte – das letzte Licht, das Corto für fünfzehn Monate sehen sollte. Case versuchte sich vorzustellen, wie sich die Microlights hoch über der frostigen Steppe aus ihren Trägerkapseln entfalteten.
    »Die haben dich todsicher in die Pfanne gehauen, Boss«, murmelte Case, und Molly regte sich neben ihm.
    Die Microlights waren unbewaffnet gewesen, von allem überflüssigen Ballast befreit, um stattdessen das Gewicht eines Konsolenoperators, eines Spezialdecks und eines Virusprogramms tragen zu können, das den Namen Mole IX trug und das erste echte Virus in der Geschichte der Kybernetik war. Corto und sein Team hatten drei Jahre für dieses Unternehmen trainiert. Sie waren schon durchs Eis und wollten gerade Mole IX injizieren, als die EMPs losgingen. Die russischen Impulskanonen stürzten die Jockeys in elektronische Dunkelheit; die Nightwings waren geliefert, die Bordelektronik ausgefallen.
    Dann eröffneten die Laser das Feuer, holten infrarotgesteuert die fragilen, fürs Radar unsichtbaren Angriffsflugzeuge aus der Luft, und Corto und sein toter Operator fielen vom sibirischen Himmel. Fielen und fielen und fielen …
    Die Story wies Lücken auf, als Case Unterlagen über den Flug eines gekaperten russischen Militärhubschraubers sichtete, der sich nach Finnland absetzen konnte – nur, um bei der Landung in einem Fichtenwald von einem altertümlichen 20-Millimeter-Geschütz zerballert zu werden, bemannt von einem Reservistenkader beim morgendlichen Bereitschaftsdienst. Für Corto war Screaming Fist am Stadtrand von Helsinki beendet, wo finnische Sanitäter ihn aus den Trümmern
des Hubschraubers sägten. Neun Tage später endete der Krieg, und Corto – blind, ohne Beine und praktisch ohne Unterkiefer – wurde in eine Militäreinrichtung in Utah verlegt. Der Kongressbeauftragte brauchte fast elf Monate, um ihn dort zu finden. Er lauschte dem Tröpfeln dränierender Schläuche. In Washington und McLean waren bereits die Schauprozesse in Gang. Pentagon und CIA wurden balkanisiert, teilweise demontiert, und ein Untersuchungsausschuss des Kongresses hatte sein Augenmerk auf Screaming Fist gerichtet. Reif für ein neues Watergate, bemerkte der Beauftragte gegenüber Corto.
    Er brauche Augen, Beine und umfangreiche kosmetische Leistungen, sagte der Beauftragte, aber das lasse sich arrangieren. Und neue sanitäre Anlagen, fügte der Mann hinzu und drückte Cortos Schulter durch die nassgeschwitzte Bettdecke.
    Corto lauschte dem leisen, unaufhörlichen Tröpfeln. Er sagte, er wolle so aussagen, wie er sei.
    Nein, erklärte der Beauftragte, die Verhandlungen würden im Fernsehen übertragen. Der Prozess müsse den Wähler ansprechen. Der Beauftragte hüstelte höflich.
    Wiederhergestellt, neu ausgestattet und gründlich vorbereitet, sagte Corto dann aus. Seine Ausführungen waren detailliert, ergreifend, klar und größtenteils die Erfindung eines Kongressklüngels, den das gemeinsame Interesse einte, bestimmte Teile der Infrastruktur des Pentagons zu retten. Corto durchschaute allmählich, dass seine Aussage dazu diente, die Karriere dreier Amtsträger zu retten, die für die Unterdrückung von Berichten über den Aufbau der EMP-Abwehr in Kirensk unmittelbar verantwortlich gewesen waren.
    Nachdem er seine Rolle in den Prozessen gespielt hatte, war er in Washington nicht mehr erwünscht. In einem Restaurant an der M Street erläuterte ihm der Beauftragte bei Spargelcrêpes, dass es lebensgefährlich für ihn sein könne, mit den
falschen Leuten zu reden. Corto zertrümmerte dem Mann mit den gestreckten Fingern seiner Rechten den Kehlkopf. Der Kongressbeauftragte klatschte mit dem Gesicht in seine Spargelcrêpe und erstickte, während Corto in den kühlen September von Washington hinaustrat.
    Der Hosaka rasselte Polizeiakten, Berichte über Wirtschaftsspionage und Nachrichtenmeldungen herunter. Case verfolgte, wie Corto abtrünnige Führungskräfte in Lissabon und Marrakesch bearbeitete, wo er sich offenbar in einen

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