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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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das?«
    »Von Armitage.’ne Datenbasis von ihm. Hab ich von den Moderns gekauft. Kleiner Deal am Rande. Wo ist sie?«
    »London«, sagte Case.
    »Knack sie!« Molly lachte. »Verdien dir zur Abwechslung mal selber deine Brötchen!«
     
    Case wartete auf dem überfüllten Bahnsteig auf einen Trans-BAMA-Zug. Molly war mit der Flatline-Konstruktion in der grünen Tasche vor Stunden ins Loft zurückgekehrt, und Case hatte seitdem pausenlos getrunken.
    Es war ihm zuwider, sich die Flatline als Konstruktion vorzustellen, als festverdrahtete ROM-Kassette, die das Können eines Toten reproduzierte, seine Leidenschaften, seinen Kniesehnenreflex … Der Zug kam auf dem schwarzen Induktionsstreifen angebraust. Sand rieselte aus den Rissen in der Decke des Tunnels.
    Case schlüpfte in die nächstgelegene Tür und beobachtete während der Fahrt die anderen Passagiere. Zwei Christian Scientists machten sich mit Raubtiermiene an ein Trio von
Büromiezen heran, die alle eine stilisierte holografische Vagina, feuchtglänzendes Pink in grellem Licht, auf dem Handgelenk trugen. Die Mädchen leckten sich die perfekten Lippen und beäugten die Scientisten unter gesenkten, metallischen Lidern hervor. Sie wirkten wie große, exotische Wiederkäuer; anmutig wiegten sie sich zu den Bewegungen des Zuges, ohne es zu merken, und die hohen Absätze auf dem grauen Metallboden des Wagens glichen polierten Hufen. Bevor sie vor den Missionaren durchgehen konnten, hatte der Zug Cases Station erreicht.
    Er stieg aus, und sein Blick fiel auf eine weiße holografische Zigarre an der Bahnhofswand. FREESIDE stand darunter in pulsierenden, verzerrten Großbuchstaben, die japanische Druckschrift imitierten. Er zwängte sich durch die Menge, blieb unter dem Ding stehen und sah es sich genauer an. WARUM WARTEN?, pulsierte die Botschaft. Eine stumpfe, weiße Spindel, umbördelt und überzogen von Gittern, Raumstrahlantennen, Docks und Kuppeln. Er hatte diese oder ähnliche Reklamen schon tausendmal gesehen, aber sie hatten ihm nie etwas gesagt. Mit seinem Deck konnte er die Datenbanken von Freeside ebenso mühelos erreichen wie die von Atlanta. Reisen war was fürs Fleisch. Erst jetzt bemerkte er das kleine Siegel, kaum münzgroß, in der linken, unteren Ecke des Lichtgewebes der Reklame: T-A.
    In Erinnerungen an die Flatline versunken, kehrte er zum Loft zurück. Seinen neunzehnten Sommer hatte er größtenteils im Gentleman Loser verbracht, wo er sich an teurem Bier festhielt und die Cowboys beobachtete. Damals hatte er noch kein Deck in der Hand gehabt, aber er wusste genau, was er wollte. Mindestens zwanzig andere hoffnungsvolle Jungs hingen in jenem Sommer im Loser herum und warteten nur darauf, einem Cowboy zur Hand gehen zu können. Nur so lernte man was.

    Jeder hatte schon von Pauley gehört, dem Redneck-Jockey aus der Gegend von Atlanta, der den Hirntod hinter schwarzem Eis überlebt hatte. Die Gerüchteküche der Straße gab über Pauley nicht viel her; das Einzige, was man über ihn wusste, war, dass er das Unmögliche geschafft hatte. »War’ne große Sache«, erzählte ein anderer Möchtegern Case für ein Bier, »aber wer weiß schon, worum’s dabei ging? Hab was von’ner brasilianischen Lohnliste gehört. Jedenfalls war der Mann tot. Hirntod, null EEG.« Case starrte den gedrungenen, hemdsärmligen Mann, dessen Haut einen bleiernen Farbschimmer hatte, über den dicht umlagerten Tresen hinweg an.
    »Mann«, sagte ihm die Flatline Monate später in Miami. »Ich bin wie die Scheißriesenechsen, weißt du? Die hatten zwei gottverdammte Hirne, eins im Kopf, das andere im Steiß, um die Hinterbeine zu bewegen. Bin in das schwarze Zeug reingeknallt, aber das alte Steißhirn hat trotzdem einfach immer weitergemacht.«
    Die Cowboy-Elite im Loser mied Pauley aus einer seltsamen Kollektivangst heraus; es war fast schon ein Aberglaube. McCoy Pauley, der Lazarus des Cyberspace … Schließlich war es sein Herz gewesen, das ihm den Rest gegeben hatte. Sein russisches Ersatzherz, während des Krieges in einem Kriegsgefangenenlager implantiert. Er wollte es nicht auswechseln lassen, weil er seinen spezifischen Herzschlag brauchte, wie er sagte, um sich sein Zeitgefühl zu bewahren. Case tastete nach dem Zettel, den Molly ihm gegeben hatte, und stapfte die Treppe hinauf.
    Molly schnarchte auf dem Temperschaum. Ein transparenter Gipsverband reichte vom Knie fast unmittelbar bis zum Schritt. Die Haut unter dem starren Mikropor war mit Blutergüssen

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