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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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Verräterwahn verrannte und einen Hass auf die Wissenschaftler und Techniker entwickelte, die er für seine Auftraggeber freikaufte. Betrunken schlug er in einem Hotel in Singapur einen russischen Ingenieur tot und steckte sein Zimmer in Brand.
    Als Nächstes tauchte er in Thailand als Aufseher in einer Heroinfabrik auf. Dann als Eintreiber für ein kalifornisches Spielerkartell, danach als bezahlter Killer in den Ruinen von Bonn. Er raubte eine Bank in Wichita aus. Die Aufzeichnungen wurden vage, unklar, die Lücken größer.
    Eines Tages, so erklärte er in einem aufgezeichneten Verhör, bei dem man ihn allem Anschein nach unter Wahrheitsdrogen gesetzt hatte, sei alles grau geworden.
    Übersetzte französische Arztbefunde besagten, dass ein Mann ohne Papiere in eine Pariser Nervenklinik eingewiesen und als schizophren diagnostiziert worden sei. Er verfiel in Katatonie und wurde in eine staatliche Anstalt am Rande von Toulon verlegt. Dort wurde er einem Experiment unterzogen, das Schizophrenie unter Anwendung kybernetischer Modelle zu heilen versuchte. Eine willkürliche Auswahl von Patienten wurde mit Mikrocomputern ausgestattet und ermutigt, sie mit Unterstützung durch Studenten zu programmieren. Er wurde geheilt, der einzige Erfolg des gesamten Experiments.
    Damit endeten die Aufzeichnungen.

    Case drehte sich auf dem Temperschaum herum, und Molly fluchte leise über die Störung.
    Das Telefon läutete. Er zog es ins Bett. »Ja?«
    »Wir fliegen nach Istanbul«, sagte Armitage. »Heute Abend.«
    »Was will der Scheißkerl?«, fragte Molly.
    »Sagt, wir fliegen heut Abend nach Istanbul.«
    »Na wunderbar.«
    Armitage las Flugnummern und Abflugzeiten herunter.
    Molly setzte sich auf und knipste das Licht an.
    »Was ist mit meinem Gerät?«, fragte Case. »Mit meinem Deck?«
    »Das erledigt der Finne«, sagte Armitage und legte auf.
    Case sah Molly beim Packen zu. Sie hatte dunkle Ränder unter den Augen, aber trotz des Gipsbeins war es, als würde sie tanzen. Keine überflüssige Bewegung. Seine Kleidung lag in einem ungeordneten Haufen neben seiner Tasche.
    »Tut’s noch weh?«, fragte er.
    »Könnte noch’ne Nacht bei Chin vertragen.«
    »Deinem Zahnarzt?«
    »Klaro. Sehr diskret. Hat das halbe Gebäude, und es ist voll belegt. Flickt Samurais wieder zusammen.« Sie zog den Reißverschluss ihrer Tasche zu. »Schon mal in Istanbul gewesen?«
    »Einmal. Paar Tage.«
    »Immer das Gleiche«, sagte sie. »Miese Stadt.«
     
    »Genauso war’s, als wir nach Chiba aufgebrochen sind«, sagte Molly, die aus dem Zugfenster auf die öde Industriemondlandschaft blickte. Rote Lichtsignale am Horizont warnten Flugzeuge vor einem Kernkraftwerk. »Wir waren in L. A. Er kommt rein und sagt: Pack, wir haben Tickets nach Macao. Als wir da ankamen, hab ich im Lisboa Fantan gespielt, während er nach Zhongshan rübergegangen ist. Tags drauf hab ich in Night City deinen Schatten gespielt.« Sie zog einen Seidenschal
aus dem Ärmel ihrer schwarzen Jacke und polierte damit ihre Einsätze. Die Landschaft des nördlichen Sprawl weckte in Case verworrene Kindheitserinnerungen, Erinnerungen an welkes Gras in den Ritzen eines schrägen Stücks Straßenbeton.
    Zehn Kilometer vor dem Flughafen begann der Zug, die Geschwindigkeit zu drosseln. Case sah zu, wie die Sonne über der Landschaft seiner Kindheit aufging, über bröckliger Schlacke und rostigen Raffinerietanks.

7
    Es regnete in Beyoglu, und der gemietete Mercedes glitt an den vergitterten, unbeleuchteten Schaufenstern vorsichtiger griechischer und armenischer Juweliere vorbei. Die Straße war fast leer; nur wenige dunkelgewandete Gestalten auf den Bürgersteigen blieben stehen und blickten dem Wagen nach.
    »Dies war einst der wohlhabende europäische Teil des osmanischen Istanbul«, säuselte der Mercedes.
    »Ging also bergab«, kommentierte Case.
    »Das Hilton ist in der Cumhuriyet Caddesi«, erklärte Molly und lehnte sich ins graue Ultravelour des Wagens zurück.
    »Wie kommt’s, dass Armitage allein fliegt?«, fragte Case. Er hatte Kopfschmerzen.
    »Weil du ihm auf die Nerven gehst. Und mir auch, ehrlich gesagt.«
    Er wollte ihr die Corto-Story erzählen, sah aber davon ab. Im Flugzeug hatte er sich ein Schlafderm gesetzt.
    Die Straße vom Flughafen war schnurgerade gewesen wie ein sauber geführter Schnitt, der die Stadt offenlegte. Case hatte die irrwitzigen Fassaden eines Konglomerats aus Bretterbuden,
Wohnblocks, Arcologien, öden Siedlungen und weiteren Wänden aus

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