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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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imaginäre Existenz angenommen hatten. Er malte sich aus, wie sie durch die Hallen von Straylight schwebten, wie ihre glatten, glänzenden, dunklen Kahlköpfe nickten, während der eine weiter sein müdes Liedchen sang. Nichts von alledem entsprach der Villa Straylight, die er erwartet hatte: eine Mischung aus Caths Märchenschloss und einer bereits halb im Nebel der Erinnerung verschwundenen kindlichen Phantasievorstellung vom Allerheiligsten der Yakuza.

    19:02:18.
    Noch anderthalb Stunden.
    »Case«, sagte sie, »tu mir’nen Gefallen.« Steif ließ sie sich auf einem Stapel polierter Stahlplatten mit einer unregelmäßigen Schutzschicht aus durchsichtigem Plastik nieder. Mit den Klingen, die an Daumen und Zeigefinger hervorglitten, pulte sie an einem Riss im Plastik der obersten Platte herum. »Mein Bein ist nicht in Ordnung. Hab nicht mit so’ner Kletterpartie gerechnet, und das Endorphin hilft nicht mehr lang. Gibt also vielleicht – nur vielleicht, ja? – Probleme hier. Also, falls ich hier vor Riviera draufgehe« – sie streckte das Bein aus und knetete den Oberschenkel durch das Modern-Polykarbonat und das Pariser Leder – »will ich, dass du’s ihm sagst. Sag ihm, dass ich es war. Verstanden? Sag einfach, es war Molly. Dann weiß er schon Bescheid. Okay?« Ihr Blick schweifte durch den leeren Korridor, über kahle Wände. Der Boden bestand aus rauem Mondbeton, und es roch harzig. »Scheiße, Mann, ich weiß nicht mal, ob du mich hörst.«
    CASE.
     
    Sie zuckte zusammen, rappelte sich auf und nickte. »Was hat Wintermute dir erzählt? Hat er dir von Marie-France erzählt? Sie war die Tessier-Hälfte, die genetische Mutter von 3Jane. Und von Ashpools toter Puppe wohl auch. Keine Ahnung, warum er mir das in der Kabine da unten gesagt hat … Hat mir’ne Menge erzählt. Hat mir auch erklärt, warum er als Finne oder sonstwer erscheinen muss. Ist nicht bloß’ne Verkleidung. Er verwendet echte Profile quasi als Ventil, als Übersetzung, um mit uns kommunizieren zu können.’ne Schablone hat er’s genannt.’n Persönlichkeitsmodell.« Sie zog ihre Flechette und hinkte den Korridor hinunter.
    Blanker Stahl und schuppiges Epoxid endeten plötzlich und wurden abgelöst von einem in massiven Fels gesprengten, groben Tunnel, wie Case zunächst annahm. Molly untersuchte
den Rand, und er stellte fest, dass der Stahl in Wirklichkeit mit Wandpaneelen verkleidet war, die wie kalter Stein aussahen und sich auch so anfühlten. Sie ging in die Knie und betastete den dunklen Sand, der den Boden des künstlichen Tunnels bedeckte. Er fühlte sich wie Sand an, kühl und trocken, aber als sie mit den Fingern hindurchstrich, floss er wie Wasser zusammen, so dass eine glatte Oberfläche zurückblieb. Ein Dutzend Meter weiter beschrieb der Tunnel eine Kurve. Grelles gelbes Licht warf harte Schatten auf den verfugten Kunststein der Wände. Erschrocken bemerkte Case, dass die Schwerkraft hier fast dem Normalwert auf der Erde entsprach, was bedeutete, dass Molly nach der Kletterpartie wieder hatte absteigen müssen. Nun wusste er überhaupt nicht mehr, wo er sich befand; räumliche Desorientierung war für einen Cowboy ein besonderer Horror.
    Aber Molly wusste es, sagte er sich.
    Etwas trippelte zwischen ihren Beinen hindurch und stakte tickend über den Nichtsandboden. Ein rotes LED blinkte. Die Braun.
    Das erste Holo erwartete sie unmittelbar hinter der Kurve. Es war eine Art Triptychon. Sie hatte die Flechette schon darauf gerichtet, bevor Case erkannte, dass es sich um eine Aufzeichnung handelte. Die Gestalten waren Karikaturen aus Licht, lebensgroße Cartoons: Molly, Armitage und Case. Mollys Brüste waren zu groß, wie sie durch straffes, schwarzes Netzgewebe unter einer schweren Lederjacke schimmerten. Ihre Taille war unwahrscheinlich schmal. Verspiegelte Linsen bedeckten das halbe Gesicht. Sie hielt eine grotesk überzeichnete Waffe in der Hand, eine Pistole, deren Form unter all den aufgesetzten Zielfernrohren, Schall- und Mündungsfeuerdämpfern fast nicht mehr zu erkennen war. Die Beine waren gespreizt, der Unterleib vorgewölbt, der Mund zu einem blöden, grausamen, lüsternen Grinsen erstarrt. Neben ihr stand
Armitage in steifer Habachtstellung. Er trug eine abgetragene Khakiuniform. Als Molly nähertrat, sah Case, dass seine Augen winzige Monitore waren, die beide das blaugraue Bild einer sturmgepeitschten Schneewüste mit kahlen schwarzen Nadelbäumen zeigten, die sich im lautlosen Wind beugten.
    Sie griff mit

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