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Neuromancer

Neuromancer

Titel: Neuromancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Treppe
    nach oben.
    Molly schnarchte auf dem Temperschaum. Ein transparenter Gipsverband reichte vom Knie fast unmittelbar bis zum Schritt. Die Haut unter dem starren Pflaster war mit Schrammen übersät, die von Schwarz in häß-
    liches Gelb umschlugen. Acht Derms unterschiedlicher Größe und Farbe
    reihten sich in einer sauberen Linie an ihrem linken Handgelenk auf. Eine Akai-Transdermaleinheit lag neben ihr; die feinen, roten Leitungen waren mit den Eingabeelektroden unter dem Gips verbunden.
    Er knipste die verstellbare Arbeitsleuchte neben dem Hosaka an. Der
    scharf begrenzte Lichtkegel fiel direkt auf die Flatline-Konstruktion. Er legte Eis ein, koppelte die Konstruktion an und steckte ein.
    Es war haargenau das gleiche Gefühl, als wenn einem jemand über die
    Schulter blickt.
    Er hustete. »Dix? McCoy? Bist du's, Mann?« Seine Kehle war wie zuge—
    schnürt.
    »He, Alter«, sagte eine ungerichtete Stimme.
    »Hier Case, erinnerst du dich, Mann?«
    »Miami, Handlanger, lernbegabt.«
    »Was ist das letzte, an das du dich erinnerst, bevor ich mit dir gesprochen habe, Dix?«
    »Nichts.«
    »Warte!« Er unterbrach den Kontakt» Der Spuk war vorüber. Er stellte
    die Verbindung wieder her. »Dix? Wer bin ich?«
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    »Du hast mich hängen, Freund. Wer, zum Teufel, bist du?«
    »Ca - dein Kumpel. Partner. Was ist'n los, Mann?«
    »Gute Frage.«
    »Erinnerst du dich, daß du vor ein paar Sekunden hier warst?«
    »Nein.«
    »Weißt du, wie 'ne ROM-Persönlichkeitsmatrix funktioniert?«
    »Sicher, Alter. Ist 'ne Firmware-Konstruktion30.«
    »Wenn ich sie also mit dem Speicher, den ich verwende, kopple, kann
    ich ihr folgerichtiges, echtes Zeitgedächtnis geben?«
    »Schätze ja«, sagte die Konstruktion.
    »Okay, Dix. Du bist eine ROM-Konstruktion. Kapiert?«
    »Wenn du meinst«, sagte die Konstruktion. »Wer bist
    du?«
    »Case.«
    »Miami, Handlanger, lernbegabt.«
    »Richtig. Und für den Anfang, Dix, werden wir nach London zischen und
    uns ein paar Daten holen. Spielste mit?«
    »Du wirst doch nicht sagen, ich hätte 'ne Wahl?«
    6
    »Such dir ein Paradies«, riet die Flatline, nachdem Case die Situation er-klärt hatte. »Check Kopenhagen, Randzone des Univiertels.« Die Stimme zählte Koordinaten auf, während er auf den Tasten hämmerte.
    Sie fanden ihr Paradies, ein »Piratenparadies« an der verschachtelten
    Grenze eines relativ ungesicherten akademischen Gitters. Auf den ersten
    Blick glich es der Art Graffiti, das EDV-Schüler zuweilen auf den Schnitt-punkten der Gitterlinien hinterließen: verwischten Glyphen aus buntem Licht, die vor den wirren Umrissen von einem Dutzend Kunstfakultäten glitzerten.
    »Da«, sagte die Flatline, »das blaue. Gesehn? Das ist ein Einstiegskode
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    Firmware = Programme, die fest im Computer eingebaut sind. Eine Art Mischform zwischen Software und Hardware, die den Vorteil bietet, daß Anwendungsprogramme ohne vorheriges Einladen sofort verfügbar sind. - Der Übers.
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    für Bell Europa. Noch frisch. Bell kommt gleich rein und liest den ganzen verdammten Plan und ändert vorgefundene Kodes. Die neuen werden morgen von den Jungs geklaut.«
    Case tippte sich einen Weg ins Bell Europa und schaltete auf eine normale Telefonleitung. Mit Hilfe der Flatline stellte er eine Verbindung zur Londoner Datenbasis her, die laut Molly angeblich Armitage gehörte.
    »Hier«, sagte die Stimme, »ich mach's für dich.« Die Flatline leierte eine Reihe von Ziffern herunter, die Case auf seinem Deck eingab, wobei er darauf achtete, die Pausen, die die Flatline zur Kennzeichnung des Timings machte, zu berücksichtigen. Es waren drei Versuche erforderlich.
    »Große Sache«, sagte die Flatline. »Keinerlei Eis.«
    »Geh das Zeug durch!« befahl Case dem Hosaka.
    »Such die persönliche Vergangenheit des Eigentümers heraus!«
    Das neuroelektronische Gekritzel des Paradieses verschwand, abgelöst
    von einer schlichten, weißleuchtenden Raute. »Enthält größtenteils Video—
    aufzeichnungen von Militärgerichten nach dem Krieg«, sagte die ferne
    Stimme des Hosaka. »Zentrale Figur ist ein gewisser Colonel Willis Corto.«
    »Zeigen!« sagte Case.
    Ein Männergesicht erfüllte den Bildschirm. Es waren die Augen von Armitage.
    Zwei Stunden später sank Case neben Molly auf die Matratze und ließ
    sich vom Temperschaum umschmiegen.
    »Was gefunden?« fragte sie, benommen vom Schlaf und von Medika—
    menten.
    »Erzähl's dir nachher«, sagte er. »Ich bin erledigt.« Er hatte einen Kater und war

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