Neuromancer
Berge, die Molly erklomm, die Radrennbahn, die Startrampen für die Drachenflieger und Miniatur-Microlights.
Aerol hatte ihn in einem skelettartigen Rollergestell mit chemischem
Antrieb zur Marcus Garvey übergesetzt.
»Vor zwei Stunden«, sagte Maelcum, »hab ich 'ne Lieferung von Babylon
für dich angenommen; netter Japaner-Knabe in 'ner Jacht, ganz tollen
Jacht.«
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Vom Anzug befreit, zog sich Case behutsam über den Hosaka und
schlüpfte in die Netzgurte. »Nun, mal sehn, was wir da haben.«
Maelcum präsentierte ein weißes, fast kopfgroßes Schaumstoffbündel,
angelte ein Springmesser mit Perlengriff an einer grünen Nylonschnur aus
der Hüfttasche seiner zerlumpten Jeans und schlitzte das Plastik vorsichtig auf. Er entnahm einen rechteckigen Gegenstand, den er Case reichte. »
Gehört das zu 'ner Kanone, du?«
»Nein«, sagte Case, der das Ding umdrehte. »Aber es ist 'ne Waffe. Ein
Virus.«
»Nicht auf diesem guten Schlepper, du«, sagte Maelcum energisch und griff nach der Stahlkassette.
»Ein Programm. Virusprogramm. Kann nicht in dich rein, nicht mal in
deine Software. Ich muß es übers Deck interfacen, bevor ich was damit
anfangen kann.«
»Du, der Japan-Boy, der hat gesagt, der Hosaka erklärt dir das ganze
Wie und Warum.«
»Gut. So, und jetzt läßt du mich machen, okay?«
Maelcum stieß sich ab, schwebte an der Steuer-Console vorbei und
machte sich mit einer Dichtungskartusche zu schaffen. Case blickte rasch
von den wehenden Fäden der transparenten Dichtungsmasse weg. Er
konnte es sich nicht erklären, aber irgendwie machte das Zeug sein SAS
schlimmer.
»Was ist das?« fragte er den Hosaka, »das Päckchen für mich?«
»Verschlüsselter Datentransfer von Bockris Systems GmbH, Frankfurt,
besagt, die Sendung enthält das Penetrationsprogramm Kuang Grade
Mark 11. Bockris teilt weiter mit, das Interface ist kompatibel mit Ono-Sendai Cyberspace 7 und bietet optimale Penetrationsmöglichkeiten, insbesondere in bezug auf existierende Militärsysteme...«
»Wie steht's mit einer AI?«
»Existierende Militärsysteme und Künstliche Intelligenzen.«
»Donnerwetter. Wie hast du's genannt?«
»Kuang Grade Mark 11.«
»Chinesisch?«
»Ja.«
»Aus.« Case befestigte das Virusprogramm mit silbernem Klebeband an
der Seite des Hosaka, wobei ihm Mollys Geschichte von ihrem Tag in Ma—
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cao einfiel. Armitage hatte die Grenze nach Zhongshan überschritten.
»An«, sagte er, plötzlich anderer Meinung. »Frage: Wem gehört Bockris,
die Firma in Frankfurt?«
»Bitte warten. Interorbitaltransmission«, sagte der Hosaka.
»Codieren. Standard Commercial Code.«
»Erledigt.«
Er trommelte mit den Händen auf den Ono-Sendai.
»Reinhold Scientific AG, Bern.«
»Das Ganze noch mal. Wem gehört Reinhold?«
Es waren drei weitere Schritte auf der Leiter erforderlich, bis er auf Tessier-Ashpool stieß.
»Dixie«, sagte er beim Einstecken, »was weißt du über chinesische Virusprogramme?«
»Nicht gerade 'ne Menge.«
»Schon mal von einem Gradiersystem wie Kuang Mark 11 gehört?«
»Nein.«
Case seufzte. »Nun, ich hab hier 'nen bedienerfreundlichen chinesischen
Eisbrecher, einzelne Kassette. Irgend welche Leute in Frankfurt behaupten, er könnte eine AI knacken.«
»Sicher. Möglich, wenn's militärisch ist.«
»Sieht so aus. Laß dir erzählen, Dix, und hilf mir mit deinem Back—
ground, okay? Armitage plant anscheinend ein Ding mit 'ner AI, die Tessier-Ashpool gehört. Mainframe steht in Bern, aber ist mit einem ändern in Rio verbunden. Das in Rio ist dasjenige, das dich hirntot gemacht hat das erstemal. Es sieht also so aus, als liefe die Verbindung über Straylight, die Heimatbasis von T-A am Ende der Spindel, und als sollten wir uns mit dem chinesischen Eisbrecher Zutritt verschaffen. Wenn also Wintermute hinter der ganzen Show steckt, bezahlt er , uns dafür, an das Ding ranzukommen.
Und an ihn selbst ranzukommen. Und etwas, das sich Wintermute nennt,
biedert sich bei mir an, damit ich möglicherweise Armitage prelle. Was
soll das?«
»Das Motiv«, sagte die Konstruktion. »Das Motiv ist echt ein Problem
bei 'ner AI. Nicht menschlich, verstehst schon?«
»Nun, ja, offensichtlich.«
»Nee. Ich meine, 'ne AI ist kein Mensch. Und du kriegst sie nicht richtig in den Griff. Ich bin auch kein Mensch, aber reagiere zumindest wie einer, 128
verstehst schon?«
»Sekunde mal«, sagte Case. »Bist du empfindungsfähig oder nicht?«
»Nun, meinem Empfinden nach
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