Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Neuromancer

Neuromancer

Titel: Neuromancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
Vom Netzwerk:
log Case. »Krieg ich manchmal auf Reisen; andere Küche und so.«
    Armitage trug einen dunklen Anzug, der zu förmlich für den Laden wirkte, und ein weißes Seidenhemd. Sein Goldarmband rasselte, als er sein Weinglas hob und trank. »Hab für euch bestellt«, sagte er.
    Molly und Armitage aßen schweigend, während Case fahrig an seinem
    Steak herumstocherte, es in handliche Bissen zersägte, die er nicht aß,
    sondern in der dicken Sauce hin und her schob; schließlich stieß er den
    Teller weg.
    »Herrje«, sagte Molly, die alles aufgegessen hatte, »mir her. Weißt du,
    was das kostet?« Sie nahm seinen Teller. »Müssen ein ganzes Tier jahrelang mästen und dann schlachten. Ist kein Laborzeug.« Sie spießte einen Bissen auf die Gabel und kaute.
    »Keinen Hunger«, brachte Case mit Mühe hervor. Sein Hirn war tiefgefroren. Nein, es war, wie er fand, in eine Friteuse gesteckt worden; das heiße Fett war abgekühlt und bildete eine dicke, wächserne Schicht um
133
    die runzligen Lappen, durch die grünlich-rote, schmerzende Blitze zuckten.
    »Du siehst verdammt schlecht aus«, meinte Molly unbekümmert.
    Case probierte den Wein. Durch das Betaphenethylamin schmeckte er
    wie Jodtinktur.
    Die Beleuchtung wurde gedämpft.
    »Le Restaurant Vingtième Siècle«, verkündete eine körperlose Stimme
    mit ausgeprägtem Sprawl-Akzent, »präsentiert stolz das holographische
    Cabaret von Mr. Peter Riviera.« Vereinzelter Applaus von den ändern Tischen. Ein Kellner zündete eine Kerze an und stellte sie in die Mitte ihres Tisches, woraufhin er das Geschirr abräumte. Bald flackerte auf jedem der ein Dutzend Tische im Restaurant eine Kerze. Die Gläser wurden nachge—füllt.
    »Was passiert jetzt?« fragte Case Armitage, der keine Antwort gab.
    Molly stocherte mit burgunderroten Nägeln in ihren Zähnen herum.
    »Guten Abend«, sagte Riviera, der auf einer kleinen Bühne am ändern
    Ende des Restaurants erschien. Case blinzelte. In seinem Elend war ihm
    die Bühne gar nicht aufgefallen. Er hatte nicht gesehen, woher Riviera
    kam. Er wurde zusehends unruhiger.
    Zunächst glaubte er, der Mann werde von einem Spotlicht angestrahlt.
    Riviera leuchtete. Das Licht haftete an ihm wie eine Haut, erhellte den
    dunklen Vorhang hinter der Bühne. Er projizierte.
    Riviera lächelte. Er trug ein weißes Dinnerjacket. Auf dem Revers glühten blaue Kohlen im Schlund einer schwarzen Nelke. Seine Fingernägel blitzten, als er die Hände zum Gruß erhob, sein Publikum symbolisch um—armte. Case hörte das seichte Wasser an die Seite des schwimmenden Restaurants plätschern.
    »Heute abend«, sagte Riviera mit leuchtenden Augen, »möchte ich ein
    längeres Stück für Sie darbieten. Ein neues Werk.« Ein schimmernder Rubin schien auf der Handfläche seiner nach oben gekehrten Rechten zu entstehen. Er ließ ihn fallen. Eine graue Taube flatterte auf von der Stelle, wo er aufschlug und entschwand in die Schatten. Jemand stieß einen Pfiff aus.
    Mehr Applaus.
    »Das Werk heißt Die Puppe.« Riviera senkte die Hände. »Ich möchte die heutige Premiere Lady 3Jane Marie-France Tessier-Ashpool widmen.« Höflicher Applaus. Als er verklungen war, schien Rivieras Blick zu ihrem Tisch 134
    zu wandern. »Und einer andern Dame.«
    Die Restaurantbeleuchtung ging kurz aus, so daß nur noch die Kerzen
    brannten. Rivieras holographische Aura war mit dem Licht verblaßt, aber
    Case konnte ihn noch sehen, wie er mit gebeugtem Kopf dastand.
    Allmählich formierten sich schwache Lichtzeilen, vertikal und horizontal, und bildeten einen offenen Würfel um die Bühne. Gedämpftes Licht ging im Restaurant an. Das Gerüst, das die Bühne umgab, erweckte den
    Eindruck, aus erstarrten Mondstrahlen zu bestehen. Den Kopf gesenkt, die
    Augen geschlossen, die Arme steif am Körper angelegt, zitterte Riviera
    förmlich vor Konzentration. Mit einemmal füllte sich der gespenstische
    Würfel, wurde zum Zimmer, dem die vierte Wand fehlte, so daß das Publikum hineinsehen konnte.
    Riviera schien wieder etwas gelöster. Er hob den Kopf, aber hielt die Augen geschlossen. »Ich lebe schon immer in diesem Zimmer«, sagte er. »
    Meines Wissens habe ich nie in einem anderen gewohnt.« Die weiße Tünche an den Zimmerwänden war vergilbt. Zwei Möbelstücke standen darin.
    Ein schlichter Holzstuhl und ein weiß lackiertes Eisenbett. Der Lack war
    gesprungen, abgestoßen, so daß das schwarze Metall zum Vorschein kam.
    Die Matratze auf dem Bett war unbezogen. Fleckiger Drillich

Weitere Kostenlose Bücher