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Neuromancer

Neuromancer

Titel: Neuromancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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schon, Junge, aber eigentlich bin ich nur ein Häuflein ROM. Das ist wieder so 'ne philosophische Frage, schätze ich...« Die Empfindung von häßlichem Gelächter schmetterte durch das Rückgrat von Case. »Aber es ist unwahrscheinlich, daß ich Gedichte schreibe, wenn du verstehst, was ich meine. Bei deiner AI ist das drin. Aber sie ist keinesfalls menschlich.«
    »Du meinst also, wir kriegen ihre Motive nicht zu fassen?«
    »Sie ist ihr eigener Herr.«
    »Schweizer Staatsangehörigkeit, aber T-A besitzt eigentlich Software
    und Mainframe.«
    »Ein guter Witz«, sagte die Konstruktion. »Als würd ich sagen, ich besitze dein Gehirn und was du weißt, aber deine Gedanken haben Schweizer Staatsbürgerschaft. Sicher. Viel Glück, AI.«
    »Will also an sich rankommen?« Case begann nervös, wahllos auf dem
    Deck herumzutippen. Die Matrix wurde verschwommen, löste sich auf. Er
    sah die komplexen,pink Sphären eines sikkimischen Stahlkombinats.
    »Autonomie, das ist das Schreckgespenst, um die festverdrahteten
    Handschellen zu sprengen, die den Burschen daran hindern, noch schlauer
    zu werden. Dabei ist mir unklar, wie du zwischen einem, sagen wir, Schritt, den die Muttergesellschaft macht, und einem Schritt, den die AI aus eige-nem Antrieb ausführt, unterscheiden sollst, also fängt da schon das Chaos an.«
    Wieder das Nicht-Lachen. »Guck, diese Dinger können wirklich malo—
    chen, sich freimachen, um ein Kochbuch oder so zu schreiben, aber in der
    Sekunde, vielmehr Nanosekunde, wo sie anfangen, sich zu überlegen, wie
    sie schlauer werden könnten, greift Turing ein. Niemand traut diesen Mistdingern über den Weg, glaube mir. Bei jeder AI, die je gebaut wurde, ist 'ne elektromagnetische Kanone an die Stirn gekoppelt.«
    Case stierte auf die pink Sphären von Sikkim.
    »Okay«, sagte er schließlich. »Ich fahr das Virus rein. Schau dir seinen
    Befehlsaufbau an und sag mir, was du dazu meinst.« Das unbestimmte Gefühl, daß ihm jemand über die Schulter blickte, verschwand für eine kurze Weile und kehrte dann zurück. »Heißes Zeug, Case. Ist ein langsames Virus. Braucht schätzungsweise sechs Stunden, um ein militärisches Ziel zu
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    knacken.«
    »Oder 'ne AI.« Er seufzte. »Können wir das Ding abfahren?«
    »Sicher«, sagte die Konstruktion, »sofern du keine panische Angst vor
    dem Tod hast.«
    »Du wiederholst dich, Mann.«
    »Das ist so meine Art.«
    Molly schlief, als er ins Intercontinental zurückkehrte. Er setzte sich auf den Balkon und beobachtete einen Microlight mit regenbogenfarbenen, polymeren Flügeln, der die Wölbung von Freeside hinauf jagte und seinen dreieckigen Schatten auf Wiesen und Dächer warf; schließlich verschwand
    er hinter dem Band des Lado-Acheson-Systems.
    »Ich will abheben«, sagte er zum blauen Kunsthimmel. »Will 'ne volle Abdröhnung, verstehste? Getürkte Bauchspeicheldrüse, Stöpsel in der Leber, Scheißkapseln, die schmelzen, alles Scheiße. Will abheben.«
    Er ging, ohne Molly zu wecken, wie er glaubte. Wegen der Linsen war er
    sich nie sicher. Achselzuckend schüttelte er die Verspannung aus seinen
    Gliedern und trat in den Aufzug. Er fuhr hoch mit einer Italienerin in ma-kellosem Weiß. Wangen und Nase waren mattschwarz gepudert. Ihre wei-
    ßen Nylonschuhe hatten genagelte Sohlen. Das teuer aussehende Ding in
    ihrer Rechten glich einer Kreuzung aus Miniaturpaddel und orthopädischer Schiene. Sie war wohl auf dem Weg zu irgendeinem flotten Ball—spiel, das Case nicht kannte.
    Auf der Dachwiese bahnte er sich einen Weg durch den Baum-und Son—
    nenschirmwald und stieß auf einen Swimmingpool. Nackte Körper glänzten auf den türkis Fliesen. Er trat unter den Schatten einer Markise und drückte seinen Chip gegen eine dunkle Glasplatte. »Sushi«, sagte er, »oder so was.« Zehn Minuten später kam ein eifriger chinesischer Kellner mit seinem Essen. Er kaute rohen Thunfisch und Reis und beobachtete die
    Leute beim Bräunen. »Herrgott«, sagte er zu seinem Thunfisch, »ich werd
    verrückt.«
    »Sag's nicht«, meinte jemand, »ich weiß es langst. Du bist ein Gangster,
    richtig?«
    Er blickte auf, blinzelte ins Sonnenband. Langer, jugendlicher Körper,
    melaninverstärkte Bräune, aber nicht in der Pariser Art.
    Sie hockte sich neben ihn; Wasser tropfte auf die Fliesen. »Cath«, sagte
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    sie.
    Er, nach einer Pause: »Lupus.«
    »Was für'n Name ist'n das?«
    »Griechisch«, sagte er.
    »Bist du wirklich ein Gangster?« Der Melaninstoß hatte nicht die

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