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Neuromancer

Neuromancer

Titel: Neuromancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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gearbeitete Profil war dem eigenen
    sehr ähnlich. »Animalische Seligkeit. Ich glaube, sie sah die Evolution des Vorderhirns gewissermaßen als Seitschritt.« Sie zog die Brosche zurück und betrachtete sie, wobei sie sie neigte, damit das Licht von verschiedenen Winkeln einfiel. »Nur in gewissen höheren Erscheinungsformen würde ein Einzelwesen - ein Familienmitglied - die eher schmerzlichen Aspekte des Selbstbewußtseins erfahren...«
    Molly nickte. Case fiel die Injektion ein. Was hatten sie ihr gespritzt?
    Der Schmerz war noch da, aber kam rüber als verhärteter Brennpunkt wirrer Eindrücke. Neonwürmer, die sich durch ihren Oberschenkel schlängelten, das Aufliegen von Leinen, der Geruch von gebratenem Krill - sein Denken schauderte davor zurück. Wenn er sich nicht direkt darauf konzentrierte, überlappten sich die Eindrücke, wurden zu einem Sensorium, das schrillem Lärm entsprach. Wenn er das mit ihrem Nervensystem machen
    konnte, wie müßte dann ihre Verfassung sein?
    Ihre Sehkraft war unnatürlich klar und strahlend, sogar noch schärfer als sonst. Die Dinge schienen zu vibrieren, wobei jede Person, jeder Gegenstand auf eine geringfügig andere Frequenz eingestellt war. Ihre Hände, die noch in der Kugel steckten, lagen auf ihrem Schoß. Sie saß in einem
    der Liegestühle. Das gebrochene Bein ruhte gestreckt auf einem Kamel—
    haarhocker davor. 3Jane saß ihr gegenüber auf einem anderen Hocker in
    einem übergroßen Burnus aus ungebleichter Wolle. Sie war sehr jung.
    »Wo ist er hin«, fragte Molly, »sich 'nen Schuß setzen gegangen?«
    3Jane zuckte die Achsel unter den Falten des hellen, schweren Umhangs
    und schüttelte sich eine dunkle Haarsträhne aus den Augen. »Er hat mir
    gesagt, wann ich dich reinlassen soll«, sagte sie. »Er wollte nicht sagen warum. Muß ein Geheimnis bleiben. Hättest du uns was getan?«
    Case spürte, wie Molly zögerte. »Ich hätte ihn umgebracht. Ich hätte
    versucht, den Ninja umzubringen. Dann hätte ich mit dir reden sollen.«
    »Warum?« fragte 3Jane, die ihre Kamee in einer Innentasche ihres Ge—
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    wands verschwinden ließ. »Warum denn? Und wozu?«
    Molly studierte offenbar die feinen, hohen Wangenknochen, den breiten Mund, die schmale Hakennase. 3Janes Augen waren dunkel, seltsam opak. »Weil ich ihn hasse«, sagte sie schließlich. »Und der Grund dafür ist einfach Veranlagung. Weil er ist, was er ist, und ich bin, was ich bin.«
    »Und die Show«, sagte 3Jane. »Ich hab die Show gesehn.«
    Molly nickte.
    »Aber warum Hideo?«
    »Weil die die besten sind. Weil einer davon mal 'nen Partner von mir
    umgebracht hat.«
    3Jane wurde sehr nachdenklich und zog die Brauen hoch.
    »Weil ich's sehen wollte«, sagte Molly.
    »Und dann hätten wir geredet, du und ich? Wie jetzt?« Ihr dunkles Haar
    war sehr glatt, in der Mitte gescheitelt und mit einer glanzlosen Silber—
    spange zurückgebunden. »Sollen wir jetzt miteinander reden?«
    »Nimm das ab«, sagte Molly und hob ihre gefesselten Hände.
    »Du hast meinen Vater getötet«, sagte 3Jane im haargenau gleichen Ton—
    fall. »Hab auf den Monitoren zugeschaut. Augen meiner Mutter, wie er sie
    nannte.«
    »Er hat die Puppe getötet. Die hat ausgesehn wie du.«
    »Er liebte große Gesten«, sagte sie, und dann stand Riviera dope-strahlend neben ihr in seinem Sträflingsanzug aus Leinenkrepp, den er auf dem Dachgarten ihres Hotels getragen hatte.
    »Schon Bekanntschaft geschlossen? Ist'n interessantes Mädchen, nicht
    wahr? Ich fand das auch, als ich sie kennenlernte.« Er ging an 3Jane vorbei.
    »Es wird nicht klappen, weißt du?«
    »Wirklich nicht, Peter?« Molly brachte ein Lächeln zustande.
    »Wintermute wird nicht der erste sein, der den gleichen Fehler begeht.
    Mich zu unterschätzen.« Er spazierte über den gefliesten Poolrand zu einem weißbeschichteten Tisch und goß sich Mineralwasser in ein schweres kristallenes Whiskyglas. »Er hat mit mir gesprochen, Molly. Schätze, er hat mit uns allen gesprochen. Mit dir und Case und Armitage, soweit der überhaupt ansprechbar ist. Wintermute kann uns an sich nicht verstehen. Er hat seine Profile, aber das sind nur Statistiken. Du bist vielleicht so'n stati-stisches Tier, Darling, und Case auch, aber ich besitze eine von Natur aus quantitativ unbestimmbare Qualität.« Er trank.
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    »Und was genau soll das sein, Peter?« fragte Molly tonlos.
    Riviera strahlte. »Perversität.« Er kehrte zu den beiden Frauen zurück
    und schwenkte das verbliebene Wasser im

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