Neva
Kein echtes, belustigtes Lachen, sondern ein aufgesetztes, als ob ich auf einen schlechten Witz reagiere.
Einen Moment lang starrt er mich an und hat offenbar vergessen, was er sagen wollte. Er kehrt in sein Büro zurück, dann bleibt er stehen und wendet sich zu mir um. Als er sich am Kopf kratzt, zittert sein widerspenstiges Resthaar. »Äh, Eff … Ich meine, Neva.« Er schüttelt den Kopf. Warum ist er so zerstreut? Der Kittel ist aufgeknöpft, und er trägt nur einen der weißen Schutzhandschuhe aus Baumwolle. »Sag ihr bitte, dass ich die Kopien für das Meeting heute Nachmittag brauche.«
»Ja, Sir.« Ich habe ihm versprochen, im Büro nur noch ganz professionell aufzutreten. Gestern habe ich ihn vor Effie Daddy genannt, was ihm gar nicht gefallen hat. Er zieht sich in sein Zimmer zurück, vergisst jedoch, die Tür hinter sich zuzumachen. Ich tue es für ihn und sinke erledigt auf den kalten Metallstuhl. Ich darf nicht darüber nachdenken, was hätte passieren können. Ich muss vorsichtiger sein. Aber ich kann nicht aufhören, über Nicoline und
Reproduktionsstatus: schwebend
nachzudenken. Ich muss weitersuchen.
Statt einen Namen von meiner Vermisstenliste gebe ich meinen eigenen ein. Die Datei erklärt mir, dass ich die Tochter von Dr. George Adams bin. Ich sehe mir die Standardkategorien an: Ausbildung, Familie, Abstammung, Adresse, Reproduktionstatus, beruflicher Werdegang, unveränderliche Identifikationsmerkmale, Verbindungen etc. In den meisten Kästen steht nichts. Anscheinend habe ich noch nicht genug gelebt. Bei Abstammung lese ich »++«, und ich nehme an, dass das etwas Gutes bedeutet. Ich habe die richtige Vergangenheit und Gegenwart: Meine Ahnentafel lässt sich bis zu den Gründungsvätern zurückverfolgen, und mein Vater ist wie sein Vater vor ihm ein Mitglied der Regierung. Unten auf dem Schirm entdecke ich eine komische Kategorie:
Sicherheitsrisiko.
Die ist mir bisher gar nicht aufgefallen. Im Kasten steht eine Prozentzahl:
51
,
6
%.
Keine Ahnung, was das bedeuten soll.
In der Sparte ›Bemerkungen‹ lese ich:
Wegen Verdachts auf unpatriotisches Verhalten zum Verhör bestellt.
Ist das der Grund, warum die anderen Regierungsangestellten mich schneiden? Ich bemerke einen Buchstaben und einen Zahlencode, der wie ein Link aussieht. Ich klicke ihn an.
ZUGRIFF VERWEIGERT
.
Plötzlich höre ich ein Quietschen – wie das Geräusch von Gummisohlen auf gefliestem Boden. Wahrscheinlich spielt mir mein Verstand einen Streich, aber ich werte es als Zeichen, mit der Schnüffelei aufzuhören. Das ist erst der Anfang meiner Suche. Es wird andere Gelegenheiten geben. Ich muss mich bremsen.
Ich eile los, um Dads Kopien zu machen. Bei meiner Rückkehr stelle ich überrascht fest, dass Effie noch immer nicht an ihrem Platz ist. Ich stürme in Dads Büro und wedele triumphierend mit den Blättern. »Deine Kopien«, sage ich und rechne eigentlich mit seinem missbilligenden Blick, aber er sitzt gar nicht an seinem Tisch. Ich sehe mich um. Er ist überhaupt nicht in seinem Büro. Komisch. Dad verlässt sein Büro nur selten. Im Stillen wundere ich mich schon lange darüber, dass er sich noch nicht in eine Kreatur der Nacht verwandelt hat, die bei Sonnenlicht zischend zu Staub zerfällt. Ich werfe einen Blick zu seinem Garderobenständer. Sein Jackett hängt noch da, aber der weiße Laborkittel ist weg. Merkwürdig.
Ich schließe die Tür zu seinem Büro, lasse mich auf Effies Platz fallen und schlage den Ordner mit Dads Kopien auf. Was ist bloß so wichtig an diesen Unterlagen? Meistens schreibt er seine Berichte in der typischen Behördensprache: viele Wörter für wenig Inhalt. Ich blättere durch die Seiten. Ich stoße auf ein Blatt mit der Überschrift »Tagesordnung« und den Unterpunkten
Historische Analyse, Strukturelle Dynamik und hypothetische Auswirkungen, Wahrnehmung kontra Wirklichkeit, Weitere Schritte.
Ich verstehe nur den ersten und den letzten Diskussionspunkt. Das Dokument in der Akte ist siebenundachtzig Seiten lang, allein auf zwölf davon sind die verwendeten Quellen aufgelistet.
Eine historische Analyse der Veränderungen in der Protektosphäre und die korrespondierenden ökologischen und kulturellen Auswirkungen.
Von George Adams. Anhand des Datums auf dem Dokument sehe ich, dass es weit vor meiner Geburt verfasst worden ist. Und es muss geschrieben worden sein, bevor Dad seinen Doktortitel erlangt hat: Er würde niemals darauf verzichten, den zu nennen.
»Was machst du denn
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