Nevada Pass
Ferguson zu und drehte sich wieder zu den anderen um: »Wir fahren weiter, sobald er fertig ist. Major O'Brien, wenn Sie so gut sein möchten und –« Er brach erstaunt ab, als Henry ganz entgegen seinem Naturell in den Speisesalon stürzte. In seinen weitaufgerissenen Augen stand nacktes Entsetzen.
»Was um alles in der Welt ist los, Henry?«
»Er ist tot, Colonel! Er liegt da und ist tot! Dr. Molyneux!«
»Tot? Der Doktor? Sind Sie – sind Sie sicher, Henry? Haben Sie ihn geschüttelt?«
Henry nickte zitternd: »Er ist so kalt wie das Eis auf dem Fluß da draußen.« Er trat zur Seite, um O'Brien vorbeizulassen, der aufgesprungen war und aus dem Abteil stürzte. »Das Herz, würde ich sagen, Sir. Er sieht aus, als sei er ganz friedlich eingeschlafen.«
Claremont stand auf und begann ruhelos auf und ab zu gehen. »Großer Gott! Das ist schrecklich! Entsetzlich!« Es war offenkundig, daß sich Claremont – abgesehen davon, daß ihn die Nachricht von Dr. Molyneux' Tod verständlicherweise geschockt hatte – Sorgen wegen der Folgen machte, die sich zwangsläufig ergeben würden; aber es blieb Reverend Peabody überlassen, dies in Worte zu fassen:
»Mitten aus dem Leben …« Für einen Menschen von der Statur einer unterernährten Vogelscheuche besaß Peabody eine gewaltige, tiefe Stimme, die klang, als käme sie aus den Tiefen eines Grabes. »Schrecklich für ihn, Colonel! Entsetzlich, im besten Mannesalter einfach dahingerafft zu werden, schrecklich auch für all die kranken und sterbenden Seelen im Fort, die ihre letzte Hoffnung auf ihn gesetzt hatten. Oh, diese Ironie, diese bittere Ironie des Schicksals! Das Leben ist nichts als ein wandelnder Schatten.« Was die letzte Bemerkung bedeuten sollte, war unklar, aber Peabody hatte offensichtlich nicht die Absicht, es zu erläutern: Mit gefalteten Händen und fest geschlossenen Augen war er tief in stumme Gebete versunken.
O'Brien kam zurück und beantwortete Claremonts fragenden Blick mit einem stummen Nicken.
»Im Schlaf gestorben, würde ich sagen, Sir. Wie Henry schon meinte: es sieht nach einem Herzanfall aus. Aber seinem Gesicht nach zu urteilen hat er selbst es gar nicht mehr bemerkt.«
»Darf ich ihn mir ansehen?« fragte Deakin.
Sieben Augenpaare – darunter auch das des Reverend Peabody, der seinen Appell an das Jenseits zu diesem Zweck kurz unterbrach – starrten Deakin an, aber in keinem stand soviel Feindseligkeit wie in dem Colonel Claremonts.
»Sie? Warum, zum Teufel?«
»Vielleicht um die genaue Todesursache festzustellen.« Deakin zuckte die Achseln – er wirkte fast gleichgültig. »Sie wissen, daß ich Medizin studiert habe.«
»Waren Sie approbierter Arzt?«
»Ja, aber ich wurde ausgestoßen.«
»Das überrascht mich nicht!«
»Nicht wegen Inkompetenz. Und auch nicht wegen mangelhafter Berufsauffassung.« Deakin hielt inne und sagte schließlich vage: »Es hatte andere Gründe. Und dabei wollen wir es auch belassen. Aber wenn man einmal Arzt war, bleibt man es ein Leben lang.«
»Ja, das wird wohl stimmen.« Claremont war Realist genug, um seine praktische Vernunft über seine persönlichen Gefühle zu stellen. »Nun gut, ich bin einverstanden. Bringen Sie ihn hin, Henry.«
Nachdem die beiden gegangen waren, senkte sich ein tiefes Schweigen über den Speisesalon. Es gab soviel zu sagen, aber alles lag so deutlich auf der Hand, daß es sinnlos schien, es auszusprechen: Wie auf Verabredung vermieden es alle, einander anzusehen und konzentrierten ihre Blicke auf irgendwelche Punkte in der Unendlichkeit. Selbst Henry, der mit einer frischen Kanne Kaffee kam, gelang es nicht, die Beerdigungsatmosphäre aufzulockern, vermutlich weil seine ständig kummervolle Miene ihn bestens zum Hauptleidtragenden jedweden Begräbnisses qualifiziert hätte. Schließlich kam Deakin zurück, und die Blicke fanden wieder ein gemeinsames Ziel.
»Nun, war's ein Herzanfall?« fragte Claremont.
»Ja, ich glaube, so könnte man es nennen«, meinte Deakin nach längerem Zögern. »So ähnlich jedenfalls.« Er sah Pearce an. »Ein Glück für uns, daß wir einen Vertreter des Gesetzes unter uns haben.«
»Was meinen Sie damit?« Gouverneur Fairchild schien noch mitgenommener als am Abend zuvor – aus möglicherweise sehr gutem Grund wirkte er jetzt ausgesprochen betrübt.
»Jemand hat Molyneux bewußtlos geschlagen, eine Spritze aus seinem Arztkoffer genommen, unter dem Brustkasten angesetzt und ihm ins Herz gestoßen. Der Tod dürfte
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