Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
Vaters eingedrungen war. »Er war ein kluger Mann, dein Vater. Er hat mir meine Magie genommen. Deshalb ist es nur natürlich, dass ich versuche, ihn zu überlisten. Wenn ich könnte, würde ich ihm seine Magie nehmen und sie gegen sein Volk wenden. Diesmal hat er noch nein gesagt. Er glaubt, er kann sie mir für immer vorenthalten. Aber es gibt auch noch andere Männer, die Handel treiben. Wir werden sehen, wie es ausgeht.« Er nickte auf eine Art und Weise, die mir nicht gefiel. Es galt mehr ihm selbst, dieses Ni c ken, als mir. In dem Moment war ich durch und durch der Sohn meines Vaters, der Sohn eines Kavallaoffiziers unseres Königs Troven, und ich nahm mir fest vor, s o bald ich wieder zurückkehrte, meinen Vater zu warnen, dass Dewara ihm immer noch übel wollte.
Je länger ich bei ihm war und je länger ich nach seinen Regeln lebte, desto mehr fühlte ich mich wie jemand, der zwischen zwei verschiedenen Welten stand, mit jeweils einem Bein in einer von beiden, und ich spürte, dass es keines großen Kraftaktes bedurfte, um ganz in Dewaras Welt überzuwechseln. Ich hatte davon gehört, dass dies nicht selten Soldaten oder Zivilisten widerfuhr, die allzu engen Kontakt mit den Flachländern hatten. Unsere Kundschafter tarnten sich oft mit Sprache und Kleidung, Sitten und Bräuchen der Einheimischen. Fahrende Kau f leute, die mit den Flachländern Handel trieben und Werkzeug und Salz und Zucker gegen Felle und kuns t handwerkliche Güter tauschten, überschritten regelmäßig die Grenzen zwischen den Kulturen. Es passierte nicht selten, dass man von Gerniern hörte, die zu weit gega n gen waren und ganz die Lebensweise der Flachländer angenommen hatten. Manchmal nahmen sie sich eine Frau aus den Reihen der Flachländer und kleideten sich wie diese. Man sagte dann, dass sie »zu Eingeborenen geworden« waren. Es wurde eingeräumt, dass sie nützl i che Dienste als Vermittler leisten konnten, aber es wurde ihnen wenig Respekt und noch weniger Vertrauen entg e gengebracht, und von der feinen Gesellschaft wurden sie fast gänzlich gemieden. Noch mehr traf dies auf die Ki n der zu, die aus solchen Verbindungen hervorgingen. Ich fragte mich, was aus Kundschafter Halloran und seiner Tochter geworden sein mochte.
Bis dahin hatte ich nie verstehen können, was einen Mann dazu bringen mochte, wie die Eingeborenen leben zu wollen. Jetzt begann ich es allmählich zu begreifen. Seit ich sehr nah mit Dewara zusammenlebte, mit ihm als meinem einzigen menschlichen Kontakt, verspürte ich immer häufiger das Bedürfnis, etwas zu tun, das ihn b e eindrucken würde, und zwar nach seinen eigenen Ma ß stäben. Ich trug mich sogar mit dem Gedanken, ihm e t was zu stehlen, auf eine listige Art und Weise, sodass er nicht umhinkonnte einzuräumen, dass ich kein Dum m kopf war. Diebstahl verstieß gegen alle moralischen G e bote, die ich gelernt hatte; dennoch ertappte ich mich dabei, dass ich ein solches Delikt als einen möglichen Weg in Erwägung zog, mir bei Dewara Respekt zu ve r schaffen. Manchmal fuhr ich aus solchen Grübeleien e r schrocken hoch, überrascht und entsetzt über mich selbst. Doch schon bald begann ich mich dann wieder zu fragen, ob es denn tatsächlich etwas Schlimmes sei, wenn ich Dewara etwas stehlen würde, wo er selbst es doch als eine Art Wettstreit in Sachen Gerissenheit zu betrachten schien. War es nicht so, d ass er mich damit geradezu au f forderte, die Linie zu überschreiten? In Dewaras Welt war nur ein Kidona-Krieger ein ganzer Mann. Nur ein Kidona-Krieger war zäh an Körper und Geist und tapfer über den Selbsterhaltungstrieb hinaus. Gleichwohl nahm die Selbsterhaltung in den Augen eines Kriegers einen hohen Rang ein, und kein Diebstahl, keine Lüge und ke i ne Grausamkeit war unentschuldbar, wenn sie mit dem Ziel verübt wurden, das eigene Leben zu bewahren.
Eines Nachts dann bot er mir die Gelegenheit, völlig in seine Welt überzuwechseln.
Es geschah auf folgende Weise. Mit jedem Tag, den wir gejagt hatten und weitergewandert waren, waren wir den Ländereien meines Vaters nähergekommen. Ich füh l te es mehr, als dass ich es wusste. Eines Nachts schlugen wir unser Lager auf einem Felsplateau auf, das nahebei in von Rinnen zerfurchten Klippen abfiel. Die Höhe g e währte uns einen weiten Blick über die Ebenen unter uns. In der Ferne sah ich die Tefa, wie sie sich durch Breittal schlängelte. Ich machte unser Feuer nach der Art der K i dona, wie Dewara es mir beigebracht hatte, mit einem
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