Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
Stück Sehne und einem gekrümmten Stock als meinem Feuerbogen. Inzwischen hatte ich es darin zu großer G e wandtheit gebracht. Die schmalblättrigen Büsche am Rande unseres Lagers waren harzig. Obwohl die Zweige grün und frisch waren, brannten sie sehr gut. Das Feuer knisterte und knallte, und süß riechender Rauch stieg auf. Dewara beugte sich vor, um den Rauch einzuatmen, und lehnte sich mit einem wohligen Seufzer höchsten Beh a gens zurück. »So riechen die Jagdgründe von Resch a mel«, sagte er.
Ich erkannte den Namen einer untergeordneten Got t heit im Pantheon der Kidona wieder. Deshalb war ich ein wenig überrascht, als Dewara fortfuhr: »Er war der Gründer meines Hauses. Habe ich dir das erzählt? Seine erste Frau hatte nur Töchter, also verstieß er sie. Seine zweite Frau gebar ihm nur Söhne. Die Töchter seines Geschlechts heirateten die Söhne seines Geschlechts, und so kommt es, dass ich das Blut des Gottes zweifach in mir habe.« Er klopfte sich stolz an die Brust und wartete auf eine Erwiderung. Er hatte mir dieses Prahlspiel be i gebracht, bei dem jeder von uns versuchte, die jeweils letzte Behauptung des anderen noch zu übertrumpfen. Auf seine Behauptung, er sei göttlicher Abstammung, fand ich freilich beim besten Willen keine Erwiderung mehr. Wie sollte das noch zu steigern sein?
Er beugte sich noch weiter über das Feuer, atmete e r neut den süßen Rauch ein und sagte dann: »Ich weiß. Euer ›gütiger Gott‹ wohnt weit, w eit weg hinter den Sternen. Ihr entspringt nicht seinen Lenden, sondern se i nem Geist. Zu schade für dich. Du hast kein göttliches Blut in deinen Adern. Aber …« Er beugte sich zu mir herüber und kniff mich fest in den Unterarm, eine Geste, an die ich mich inzwischen gewöhnt hatte. »… aber ich könnte dir zeigen, wie du wenigstens zum Teil göttlich werden kannst. Du bist so sehr Kidona, wie ich es dich lehren kann, Gernier. Es wäre dann an Reschamel, über dich zu richten und zu sehen, ob er wünscht, dass du e i ner von uns wirst. Es wäre eine schwere Prüfung. Vie l leicht versagst du. Dann würdest du sterben, und das nicht nur in dieser Welt. Aber wenn du die Prüfung b e stehst, würdest du Ruhm ernten. Ruhm. In allen Welten.« Er sprach davon, wie ein anderer Mann über Gold spr e chen würde.
»Wie?« Das Wort platzte aus mir heraus, eine Frage, die er als Zustimmung auffasste.
Er schaute mich lange an. Seine grauen Augen, aus denen sich selbst am Tage nichts herauslesen ließ, waren jetzt, im Zwielicht, ein noch größeres Rätsel. Schließlich nickte er, mehr bei sich selbst.
»Komm. Folge mir, wohin ich dich führen werde.«
Ich stand auf, aber er schien es nicht eilig mit dem Aufbruch zu haben. Stattdessen befahl er mir, noch mehr Reisig zu sammeln und das Feuer anzufachen, bis es l o dern würde wie ein Leuchtfeuer. Funken stoben aus dem Rauch empor, wann immer ich weitere Zweige in die Flammen warf, und die Hitze, die von ihnen ausging, trieb mir den Schweiß auf Stirn und Rücken, während das harzige Aroma mich einhüllte. Dewara saß da und schaute mir zu. Erst als das Feuer brüllte wie ein wildes Tier, stand er langsam auf. Er ging zu einem nahen Busch, brach einen frischen, dichtbelaubten Zweig ab und umwickelte sodann seine belaubten Enden mit me h reren kleineren Zweigen. Geschickt flocht er die klein e ren Zweige um den größeren herum und in ihn hinein, bis er einen Stock mit einem dicken Laubballen an einem Ende in der Hand hielt. Als er ihn ins Feuer hielt, en t zündete er sich sofort. Mit dieser Fackel führte er mich zum Rand unseres luftigen Felsenlagers. An der Kante vor dem Abgrund blieb er stehen und schaute auf die Ebene hinaus. In der Ferne verschluckte das Land lan g sam die Sonne. Dann, als sich die tintenschwarze Du n kelheit über das Flachland unter uns ergoss, wandte er sich z u mir um. Der Fackelschein verwandelte sein G e sicht in eine zuckende Maske aus Schatten und Licht. Dann sprach er. Seine Stimme war ein Singsang, der ganz anders klang als sein üblicher Tonfall.
»Bist du ein Mann? Bist du ein Krieger? Würde R e schamel dich in seinen Jagdgründen willkommen heißen, oder würde er dich seinen Hunden zum Fraß vorwerfen? Sind dein Mut und dein Stolz stärker als dein Lebenswi l le? Denn das macht einen Kidona-Krieger aus. Ein Kid o na-Krieger würde lieber tapfer und stolz sein als am L e ben. Möchtest du ein Krieger sein?«
Er hielt inne, um meine Antwort abzuwarten. Ich trat in seine Welt.
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