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Nevare 01 - Die Schamanenbrücke

Titel: Nevare 01 - Die Schamanenbrücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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einen Vogel mit meiner Schleuder zu treffen – und sogar auf Anhieb zu erlegen.
    Am Abend machten wir ein Feuer, brieten Fleisch und teilten uns das Wasser aus seinem Schlauch, als wären wir Kameraden. Ich sagte wenig, dafür war er umso re d seliger. Er erzählte mir vielerlei Geschichten aus seinen Tagen als Krieger, aus der Zeit, als die Kidona ihre Flachländer-Brüder zu überfallen pflegten. Es waren grausige Geschichten, voller Blut und Vergewaltigungen und Plünderungen, und er lachte manchmal laut auf, während er in seinen Erinnerungen an jene »Siege« schwelgte. Nach diesen Geschichten ging er über zu »Himmelslegenden«, die von den Sternbildern handelten. Die meisten seiner Heldengeschichten schienen sich um Betrug, Diebstahl oder Frauenraub zu drehen. Ich begriff, dass ein erfolgreicher Dieb bei den Kidona großes Ans e hen genoss, während ein ungeschickter nicht selten mit seinem Leben bezahlte. Mir kam diese Moral merkwü r dig verdreht vor. Während er mir eine Geschichte von sieben schönen Schwestern erzählte, die der Reihe nach von einem Schwindler verführt wurden, schlief ich schließlich ein. Er machte jeder von ihnen ein Kind, aber heiraten tat er keine von ihnen.
    Sein Volk hatte keine Schrift, aber es bewahrte seine Geschichte in Erzählungen, die von Generation zu Gen e ration weitergegeben wurden. In den folgenden langen Nächten sollte ich noch viele von diesen Geschichten hören. Manchmal, wenn er erzählte, konnte ich an der gemessenen Art und Weise, in der er sie vortrug, a b schätzen, wie oft er sie schon erzählt hatte. Die ältesten Geschichten seines Volkes stammten aus der Zeit, als es noch ein sesshaftes Volk gewesen war, das am Rande der Berge gewohnt hatte. Das getüpfelte Volk hatte es aus seinen Häusern und Höfen verjagt, und ein Bannfluch der Getüpfelten hatte es zu einem Volk von Nomaden g e macht, das dazu verurteilt war, von Überfällen und Die b stahl und Mord zu leben statt – wie einst – vom Acke r bau und Obstanbau. Die Art, wie er von den Getüpfelten als ungeheuer mächtige Hexer sprach, die in Saus und Braus inmitten ihrer unermesslichen Reichtümer lebten, verwirrte mich mehrere Tage lang zutiefst. Wer waren diese Geschöpfe mit gemusterter Haut und einer Magie, die stark genug war, einen Todeswind wider ihre Feinde zu entfesseln?
    Als ich schließlich den Zusammenhang herstellte und mir klar wurde, dass er von den Fleck sprach, war es fast, als sähe ich ein vertrautes Bild doppelt. Das Bild und die Meinung, die ich von den Fleck als einem primitiven, unzivilisierten Volk von Waldbewohnern hatte, waren plötzlich überlagert von Dewaras Bild von den Fleck als einem undurchschaubaren und furchterregenden Feind. Ich löste den scheinbaren Widerspruch gedanklich, i n dem ich entschied, dass die Fleck die Kidona irgendwie dazu gezwungen hatten, sich aus ihren Siedlungsgebieten zurückzuziehen und zu einem Volk von Wanderern und Trödlern zu werden. Und Dewaras Volk hatte ihnen ihre ungeheure, sagenhafte Macht aus keinem anderen Grund als dem angedichtet, um eine wohlfeile Ausrede zu haben für seine Unfähigkeit, sich den Fleck erfolgreich zu w i dersetzen. Diese »Lösung« stellte mich nicht zufrieden, weil ich wusste, dass sie nicht ganz stimmte. Sie war nicht mehr als ein wackliges Provisorium, wie rohe Bre t ter, die man über ein zerbrochenes Fenster nagelt. Die kalten Winde einer anderen Wahrheit pfiffen immer noch durch die Ritzen und ließen mich frösteln.
    Ich empfand nie ein Gefühl von Freundschaft oder wirklichem Vertrauen gegenüber Dewara, aber in den darauffolgenden Tagen brachte er mir Vieles bei. So lernte ich zum Beispiel zu reiten wie ein Kidona: aufz u sitzen, indem ich neben einem Taldi her rannte und mich im Laufen auf seinen Rücken schwang; es mit leichtem Schenkeldruck und mit Hilfe der Fersen zu lenken; und sogar im Galopp abzusitzen, indem ich mich seitlich h e runterfallen ließ und mich dann elegant abrollte. Mein Jindobe, die Handelssprache aller Flachländer, wurde stetig besser.
    Ich war immer schon sehnig und schlank gewesen, und dank der Ausbildung durch meinen Vater und Serg e ant Duril hatte ich gut entwickelte Muskeln. Aber in den Tagen, in denen ich in Dewaras Obhut war, wurde ich hart und zäh wie ein Streifen Dörrfleisch. Wir aßen nur Fleisch oder tranken Blut. Zuerst hatte ich furchtbaren Hunger und träumte von Brot und Süßigkeiten und sogar Rüben, aber das ging nach wenigen Tagen vorbei. An die Stelle

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