Never Knowing - Endlose Angst
John zu tun hatte, aber es war nett, ihn zur Abwechslung einmal so lange zu Hause zu haben. Nicht dass es mir dabei geholfen hätte, irgendetwas auf die Reihe zu bekommen. Ich weiß nicht, wie oft ich ein Werkzeug in die Hand nahm, nur um es wieder hinzulegen. Den größten Teil des Tages verbrachte ich vor dem Computer.
Inzwischen suche ich Zuflucht, indem ich Fragen google wie »Woran man merkt, ob man verfolgt wird« oder »Selbstverteidigungstechniken, die Ihr Leben retten können«. In einem Artikel wurden Vorschläge gemacht, was man tun kann, wenn man von einem Serienmörder oder Vergewaltiger überfallen wird – man sollte sich zum Beispiel wehren oder schreien. Es wurde sogar aufgelistet, was für die einzelnen Tätertypen der Auslöser sein könnte. Aber es sieht so aus, als sei die einzige sichere Methode, um rauszufinden, welche Sorte man zu fassen bekommen hat – oder besser, welche Sorte einen selbst in die Finger bekommen hat –, es zu vermasseln und sich umbringen zu lassen.
Ich drucke immer noch alles aus – nur für alle Fälle. Anschließend hefte ich die Seiten in dem dicken Ordner ab, den ich für alles, was John betrifft, angelegt habe. Seit er angefangen hatte, mich anzurufen, habe ich Tagebuch geführt. Ich habe mir die Tageszeit notiert, zu der er anrief, seine Laune, wie seine Stimme klang, sein Sprachmuster,
alles
.
Wenn ich nicht googelte, schickte ich Billy kurze E-Mails: »Wie läuft’s bei Ihnen?« Er antwortete jedes Mal, manchmal nur eine schnelles: »Machen Sie sich keine Sorgen.« Oder: »Halten Sie durch, ich melde mich später.« Evan würde ausflippen, wenn er wüsste, wie eng wir in Kontakt stehen. Es gefällt mir nicht, es hinter seinem Rücken zu tun, aber ich kann auch nicht erklären, warum ich diese Beschwichtigungen brauche, zumindest nicht so, dass Evan es begreifen würde. Er ist super darin, mich aus meinen Angstattacken rauszureißen und die Achterbahn der Gefühle auszubalancieren, in der ich mich normalerweise befinde. Aber das funktioniert nur bis zum Level fünf. Sobald ich Level zehn erreiche, machen mich seine »Denk einfach nicht darüber nach«-Ratschläge nur noch wütend. Dann ist Billys »Wir haben alles unter Kontrolle«-Haltung genau das, was ich brauche.
Der letzte Freitagabend war echt hart. Obwohl Evan zu Hause war und ich seit Montag nichts mehr von John gehört hatte, fühlte ich mich kein bisschen entspannter. Mein Handy schwieg, aber meine Gedanken waren umso lauter. In allen Büchern hieß es, Serienmörder könnten überaus impulsiv sein. Wenn John den Drang verspürte zu reden, griff er womöglich einfach zum Telefon, egal, wie wütend er war, nur um mir zu erzählen, wie wütend er war. Oder er beschloss, es mir persönlich zu sagen. Aber die Sache ist die, dass Menschen von Johns Schlag – von
meinem
Schlag – nicht nur impulsiv, sondern regelrecht besessen sein können. Was mich jede Nacht wach hielt, war die Frage, was
ihn
wohl wach hielt. Und dann, am Samstagmorgen, ging es wieder los mit den Anrufen.
Mein Handy klingelte, als wir gerade Frühstück machten – na ja, Evan machte Frühstück, während ich redete und ihm im Weg herumstand. Die Nummer war neu, aber die Vorwahl war immer noch British Columbia.
Evan sagte: »Geh nicht ran.«
»Es ist eine andere Nummer.«
Er drehte sich wieder zum Herd um. »Wenn es jemand anders ist, kann er eine Nachricht hinterlassen.« Das passierte nicht. »Er« rief noch dreimal an und legte stets nach dem vierten Klingeln auf. Ich hatte den Tisch halb fertig gedeckt, stand wie erstarrt da, mit einer Gabel in der Hand, und wartete darauf, dass das Telefon erneut klingelte.
Evan schaute über die Schulter. »Schalt es einfach aus.«
Gerade eben noch hatte ich mich gefreut, weil Sandy und Billy weg waren, so dass ich Evan ganz für mich allein hatte, aber jetzt wünschte ich, sie wären hier, um mir zu sagen, was ich tun sollte. All meine lautstarken Sprüche und meine Entschlossenheit, dass ich John ignorieren würde, lösten sich in Luft auf.
Ich sagte: »Aber was, wenn er wieder ein Mädchen hat?«
Mit dem Pfannenwender in der Hand drehte Evan sich um. »Schalt das Telefon aus, Sara.«
Ich starrte ihn an, als es erneut klingelte.
Hinter Evan zischten die Eier in der Pfanne. »Ich dachte, mit dem Thema wärst du durch?«
»Aber was, wenn er jemanden hat oder auf einem Campingplatz ist und …«
»Wenn du nicht mit ihm redest, kann er dich nicht manipulieren.«
Ally kam
Weitere Kostenlose Bücher