Never tell a lie - Lügen können töten - Psychothriller
verschwunden war. Melinda hatte es irgendwie fertiggebracht, in ihr Haus einzubrechen und sie zu entwenden und dann in ihrem eigenen Badezimmer zu deponieren.
Die DNA, die die Polizei hatte und für die von Melinda White hielt, war in Wirklichkeit Ivys. Und die DNA-Probe, die Melinda White jetzt beim Polizeilabor abgab, würde Ivy Rose zugeordnet werden. Damit war die Verwechslung komplett.
Das Foto auf dem Ausweis war die einzig mögliche Gefahrenquelle. Melinda musste hoffen, dass die Labortechnikerin nur einen kurzen Blick auf Ivys Führerschein werfen würde.
Aber warum machte sie sich die Mühe, ihre eigene DNA mit der von Ivy zu vertauschen?
Der Grund wurde Ivy mit einem Schlag klar. Das Fötusgewebe
. Das Ergebnis der DNA-Analyse lag noch nicht vor, aber bald würde es da sein. David würde als Vater identifiziert werden, und die DNA der Mutter würde mit der übereinstimmen, die die Polizei der Zahnbürste in Melindas Wohnung entnommen hatte. Die Polizei würde dies für den Beweis halten, dass David der Vater von Melindas ungeborenem Kind war. In Kürze würde Anklage wegen Mordes gegen ihn erhoben werden.
Aber wie …? Ivy kannte auch die Antwort auf diese Frage.
14. Juli . Vor anderthalb Jahren. Ivy dachte an jenen heißen, feuchten Sommermorgen, an dem sie in der Notaufnahme der Neponset-Klinik gelegen und zugesehen hatte, wie eine Schwester die Plazenta und den winzigen Leichnam forttrug, der Ivys und Davids erstes Kind hätte sein sollen. Er war zur Untersuchung ins Labor der Klinik gebracht worden - das Labor, in dem Melinda arbeitete.
Wut stieg in Ivy auf. Melinda hatte die sterblichen Überreste nicht entsorgt, sondern irgendwie konserviert. Sie hatte Ivys Küchenmesser genommen und die Klinge durch das Fleisch und Blut ihres totgeborenen Kindes gezogen. Dann hatte sie das Messer in die Segeltuchtasche gesteckt und auf die Ladefläche von Davids Lastwagen gelegt. Vielleicht hatte sie der Polizei sogar einen anonymen Tipp gegeben.
Stück für Stück fügten sich die Einzelteile von Melindas ausgeklügeltem Plan zusammen. David befand sich im Gefängnis. Anhand der DNA-Proben würde man ihm eine Beziehung zu Melinda nachweisen können. Wenn
Ivy jetzt verschwand, würde es für alle Welt so aussehen, als sei sie mit ihrem Baby geflohen, weil sie die entsetzlichen Folgen der Schuld ihres Mannes nicht ertragen konnte.
Und das Baby, ihr kleines Mädchen? Ivy legte die Hände auf ihren Bauch. Sie würde gestohlen und von einer verrückten Frau aufgezogen werden. Sie würde wie Melinda selbst in einem von Verfolgungswahn geprägten Haus aufwachsen, genährt von obsessiver Liebe und von Hass, als Tochter einer Frau, die alles geopfert hatte, selbst ihre eigene Identität, um ihre Mutter zu werden.
Wenn Ivy es nicht verhinderte.
Sie würde nicht darauf warten können, von Jody oder Theo gerettet zu werden. Auch die Polizei würde nicht zu ihrer Rettung auf weißen Rössern herbeigeritten kommen. Sie musste an einen der Lieblingssprüche ihrer Großmutter Fay denken: Wenn du willst, dass Küken aus deinen Eiern schlüpfen, musst du dich selbst draufsetzen .
Aber wie sollte sie entkommen? Sie hörte Autos vorbeifahren, aber es gab keine Fenster, durch die sie um Hilfe rufen könnte. Das Badezimmerfenster war zu klein, um hindurchzukriechen, und der Blick war durch das Dach und den Kamin verdeckt.
Wenn du nicht darübergehen kannst, musst du darunter durchkriechen . So lautete eine weitere von Großmutter Fays Wahrheiten.
Ivy starrte in den Schacht des Speiseaufzugs. Das Kabel, mit dem der Aufzug früher einmal bewegt worden war, befand sich in erreichbarer Nähe und war immer
noch intakt. Es hing über einem Abgrund, der ebenso dunkel war wie der, in den Ivy zu stürzen drohte.
Sie beugte sich vor und blickte in den Schacht hinab. Einen Augenblick lang hatte sie das Gefühl, als käme jemand von hinten auf sie zu, um sie hinunterzustoßen. Sie sah sich in die tintenschwarze Dunkelheit stürzen und zehn Meter tiefer mit gebrochenem Hals und zerschlagenem Körper auf dem Boden auftreffen.
Hastig fuhr sie zurück und stieß sich dabei so heftig den Kopf an, dass es im Schacht widerhallte. Sie stützte sich am Rahmen ab und erstarrte. Sie konnte nur hoffen, dass Melinda nichts gehört hatte. Der Schall drang auch nach unten durch den Schacht.
Ohne auf ihren schmerzenden Magen zu achten - es waren keine Wehen, das war nur Angst, sagte sie sich -, packte sie das Kabel, das in der Mitte des Schachts
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